In Sorge weiter steigender Zinsen drängen Unternehmen und Staaten auf den Anleihenmarkt. Doch nicht jede Emission wird erfolgreich platziert.
16. September 2022. Frankfurt (Börse Frankfurt). Die erwartete nächste Zinserhöhung der US-Notenbank FED am kommenden Mittwoch belastet die Anleihenmärkte schon im Vorfeld. An den Zinserwartungen dürften auch schwache US-Konjunkturdaten nichts ändern: Nach Einschätzung der Commerzbank haben zwar die jüngsten US-Konjunkturdaten wie der Philly-FED-Index diese Woche die Erwartungen verfehlt, aber: „Trotz der sich teilweise eintrübenden Datenpunkte bleibt in Summe das Bild bestehen, dass die US-Wirtschaft noch weit von einer Rezession entfernt ist. Dies, gepaart mit dem robusten Arbeitsmarkt, dürfte dazu führen, dass die FED nächste Woche erneut deutlich die Zinsen anheben wird. Wir rechnen weiterhin mit einem 0,75%-Zinsschritt“, kommentiert David Kepper.
Da die Mehrheit der Marktteilnehmer diesen großen Zinsschritt der FED für den 21. September prognostiziert, geben die Rentenmärkte weiter nach. Die Renditen steigen über alle Laufzeiten, wenngleich weniger stark als in der Vorwoche. Die zehnjährige Bundrendite notiert bei 1,76 Prozent, zehnjährige US-Titel bei 3,48 Prozent.
US-Kerninflation beeindruckt negativ
Arthur Brunner von der ICF Bank verweist auf die Inflationsdaten, die zu Wochenbeginn die Marktmeinung weiterer Leitzinserhöhungen durch die FED unterstrichen haben: „Negativ beeindruckt hat vor allem die Kernrate mit 6,3 Prozent.“ Das sei nicht erwartet worden. „Diese Zahl ging wie ein Beben durch die Märkte und ließ die Renditen weiter steigen.“ Vor allem die kurzlaufenden US-Staatsanleihen haben angezogen auf 3,9 Prozent. „Damit ist die US-Zinskurve invers“, erläutert Brunner. Das heißt, dass die langlaufenden US-Schuldtitel über 30 Jahre niedriger rentieren als die kurslaufenden. Eine inverse Zinskurve gilt als Rezessionsindikator.
„Die Anleger sind zunehmend nervös vor der FED-Sitzung, die Kurse sind weiterhin volatil“, beschreibt Tim Oechsner von der Steubing AG die Stimmung. Jede Wortmeldung der Notenbanker werde verarbeitet: „Konjunkturskeptische Töne ziehen lockerere Kommentare bezüglich der (Leitzins-) Zinsentwicklung nach sich und lassen am US-Anleihenmarkt die Kurse steigen; Kommentare von Konjunkturoptimisten, die eine straffe Geldpolitik fordern, bringen Kursverluste mit sich.“
Oechsner
Staaten und Unternehmen drängen in den Markt
Vor den erwarteten weiteren Zinserhöhungen insbesondere der US-Notenbank FED, die sehr konsequent vorgehe, nehmen Neuemissionen am Anleihenmarkt zu: „Viele Unternehmen und Staaten drängen in den
Markt“, beobachtet Oechsner die Lage. Im Vergleich zur Vorwoche sei deutlich mehr Umsatz in den Orderbüchern zu verzeichnen. Brunner bestätigt: „Vor allem Unternehmen sind besorgt, dass Finanzierungen noch teurer werden, und so kommt eine regelrechte Flut neuer Anleihen auf den Markt.“
Unter den Emittenten ist Fresenius Medical Care mit einer Anleihe bis 2027 und 3,875 Prozent Kupon (XS2530444624). Nach Ausgabe bei 99,63 Prozent fällt sie marktbedingt allerdings auf 98,28 Prozent“, berichtet Brunner. Attraktive Konditionen bietet nach seiner Ansicht ein Papier von Schletter International. Die Anleihe mit drei Jahren Laufzeit habe eine variable Verzinsung, die aus dem 3-Monats Euribor plus 675 Basispunkten besteht. Der EURIBOR ist der Zins, zu dem sich Banken kurzfristig untereinander Geld leihen.
Brunner registriert zudem eine erneut hohe Nachfrage – wie schon in der Vorwoche - bei BASF (XS1823502650), deren Anleihe bis 2025 jährlich einen Kupon von 0,825 Prozent hat.
Der Logistik-Dienstleister R-Logitech hat die Platzierung einer neuen fünfjährigen Anleihe bis 2027 im Volumen von 250 Millionen Euro beschlossen, berichtet Oechsner. Der Netto-Erlös aus der Privatplatzierung wird zur Rückzahlung einer im Frühjahr 2023 fälligen Anleihe mit 8,5 Prozent Kupon (DE000A19WVN8) verwendet werden. „Bestehende institutionelle Inhaber können ihre Schuldverschreibungen im Rahmen einer Privatplatzierung in neue Schuldverschreibungen umtauschen, wobei die endgültigen Bedingungen in der Woche ab dem 19. September 2022 festgelegt werden sollen.“
Brunner
Grenke muss Emissionsvorhaben zurückziehen
Doch nicht alle Emissionsvorhaben sind im aktuellen Umfeld realisierbar: Die Grenke AG hat die Platzierung einer Anleihe über 250 Millionen Euro mit drei Jahren Laufzeit verschoben.“ Nach Angaben von Gregor Daniel von der Walter Ludwig Wertpapierhandelsbank war die Nachfrage zu gering. Von den erwarteten bzw. geplanten 250 Millionen Euro seien nur 150 Millionen Euro realisierbar. Im Zuge dieser Meldung lasse das Interesse an anderen Grenke-Bonds (XS2078696866) nach, erklärt Daniel die Marktreaktionen. „Die Anleger wollen sich hier aktuell nicht engagieren. Solche Meldungen mahnen zur Vorsicht.“
„Nach Angaben von Bloomberg haben in diesem Jahr 34 Emittenten Anleiheemissionen zurückgezogen – dreimal mehr als 2021“, kommentiert Brunner den Rückzug Grenkes – des ersten Unternehmens seit Juli vom Anleihenmarkt, das eine Emission verschiebt. „Staaten und bonitätsstarke Unternehmen haben aber weiterhin kein Problem, sich Kapital zu beschaffen – schwieriger wird es allerdings für die zweite Reihe.“
Im volatilen Umfeld stechen wenige Papiere hervor. Daniel verweist aber auf überdurchschnittliche Kursgewinne einer Lufthansa-Hybridanleihe mit Laufzeit bis 2075 und 4,382 Prozent Kupon (XS1271836600). „Das Papier war von 81 auf 92 Prozent gestiegen.“ Die Lufthansa hatte zuvor angekündigt, Zinsrückstände dieser Anleihe, die zwischen 12. Februar 2021 und 12. Februar 2022 aufgelaufen waren, zum 10. Oktober dieses Jahres nachzuholen. „Das Interesse an der Anleihe war danach extrem hoch“, berichtet Daniel. Mittlerweile gingen die Umsätze aber wieder zurück. Der Kurs sank zuletzt auf 88,40 Prozent.
von: Antje Erhard, 16. September 2022, © Deutsche Börse AG
Antje Erhard ist Journalistin und Moderatorin mit den Schwerpunkten Börse, Wirtschaft und Finanzen.
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