Höhere Leitzinsen oder nicht? Das wird nach Einschätzung der Rentenhändler auch im neuen Jahr Topthema am Anleihemarkt sein. Zum Jahresauftakt gibt es da gleich viel Gesprächsstoff aus den USA. Die Entwicklungen am Markt für Mittelstandsanleihen klaffen unterdessen weit auseinander.
7. Januar 2022. Frankfurt (Börse Frankfurt). Die Wege der großen Notenbanken trennen sich: Wie aus dem Mittwochabend veröffentlichten Protokoll der letzten US-Notenbanksitzung hervorgeht, denkt die Fed wegen der hohen Inflation über eine frühere oder schnellere Zinserhöhung nach. „Während bei den geldpolitischen Lockerungen weitgehend Einigkeit unter den weltweiten Zentralbanken zu herrschen schien, gibt es nun verschiedene Herangehensweisen von US-Notenbank, EZB und Bank of England“, bemerkt Tim Oechsner von Steubing. „Die Fed beendet das Anleihekaufprogramm bereits im März, der Markt erwartet zudem drei Zinserhöhungen für 2022.“ Wenn die tatsächliche Inflation noch höher ausfalle, könnten sogar noch größere Schritte folgen, oder mehr als drei. „Die EZB wird die Zinsen in diesem Jahr hingegen wohl eher nicht anheben, sondern lediglich das Pandemieprogramm PEPP im März planmäßig auslaufen lassen.“
Nach Einschätzung von Arthur Brunner von der ICF Bank wird die EZB auf Dauer aber nicht umhinkommen, etwas gegen die Inflation zu unternehmen. „Die Zeit der Minuszinsen geht dem Ende zu.“
Inflation und Geldpolitik Hauptthemen
Schon in den letzten Monaten 2021 ging es viel um Inflation und Geldpolitik – 2022 dürfte das kaum anders sein. „Die Inflation und der Umgang der Notenbanken damit wird auch im neuen Jahr das beherrschende Thema an den Rentenmärkten sein“, prognostiziert Brunner. Im Fokus blieben zudem die Auswirkungen steigender Zinsen – auch auf die Schwellenländer. „Hauptthema ist weiterhin die Inflation“, meint Oechsner ebenfalls.
Brunner
In Reaktion auf die jüngsten Fed-Nachrichten ist die Rendite für zehnjährige US-Treasuries bereits deutlich gestiegen: Am Freitagmorgen liegt sie bei 1,73 Prozent, vor einer Woche waren es nur 1,37 Prozent, Anfang 2021 nur 1,07 Prozent. Bundesanleihen können sich dem nicht ganz entziehen: Die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe hat sich im Wochenvergleich von minus 0,37 auf minus 0,06 Prozent erhöht. Anfang 2021 lag sie noch bei minus 0,52 Prozent.
Oechsner rechnet angesichts steigender Zinsen damit, dass mehr Investoren von Aktien in Anleihen umschichten werden. Gregor Daniel von der Walter Ludwig Wertpapierhandelsbank ist skeptischer: „Unter Berücksichtigung der Inflation bleiben Anleihen unattraktiv.“ Bei Bundesanleihen liege nur die Rendite der Dreißigjährigen im positiven Bereich. „Solange die Notenbanken über die Anleihekäufe so stark in den Markt eingreifen, wird sich das nicht groß ändern.“
„Kleine“ Anleihen: Grundsolide bis mehr als wackelig
Auch nach Einschätzung von Fidelity sind Anleihen infolge niedriger Zinsen und Risikoprämien allenfalls selektiv interessant, zu Aktien gebe es auch 2022 nur wenige Alternativen. „Zinspapiere aus Asien und vor allem auch China bilden hier eine Ausnahme“, erklärt Carsten Roemheld, Fidelity-Kapitalmarktstratege. „Im Bereich der Unternehmensanleihen haben vor allem Hochzins- und Schwellenländeranleihen noch Potenzial.“
Am Markt für die höherverzinslichen KMU-Anleihen gab es vergangenes Jahr allerdings hierzulande einige schlechte Nachrichten: die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bei Deutsche Lichtmiete, die nun Insolvenzantrag gestellt hat, Zahlungsunfähigkeit beim Immobilienentwickler Eyemaxx Real Estate und Finanzierungsprobleme bei Ekosem Agrar, der deutschen Holdinggesellschaft der auf Milchproduktion in Russland ausgerichteten Ekoniva Gruppe. „Bei Eyemaxx rechnet man wohl mit dem Schlimmsten, die Anleihen werden nur noch um 3 Prozent gehandelt“, erklärt Brunner. Nur bei der besicherten Anleihe (DE000A289PZ4) seien es noch deutlich mehr.
Die Unterschiede im Nebenwerte-Bereich bleiben aber groß: „Viele Anleihen werden seit Emission über Pari gehandelt“, stellt Daniel fest, allenfalls unterbrochen von Rücksetzern während des Corona-Crashs im Frühjahr 2020. Beispiele sind Papiere der Karlsberg Brauerei mit Laufzeit bis 2025 und Kupon von 4,25 Prozent (DE000A254UR5) und Papiere von Semper idem Underberg mit 4 Prozent und Fälligkeit 2024 (<DE000A2LQQ43>) und 2025 (DE000A2YPAJ3). „Letztlich sollte sich jeder Anleger die Frage stellen, ob das Risiko eines Investments adäquat bezahlt wird.“
Fußballanleihen: „Fans halten treu daran fest“
„Auch die Fußballclubanleihen halten sich sehr gut“, berichtet Brunner mit Blick auf Papiere von Schalke 04 (<DE000A2AA04>, DE000A3E5TK5), Werder Bremen (DE000A3H3KP5) und HSV (DE000A2TR0Y1. „Die Fans halten treu an den Anleihen fest.“ Er rechnet mit weiteren Emissionen in diesem Jahr, denn viele Clubs stünden wegen der Pandemie und lehren Stadien vor massiven Problemen. „Und die Stimmung bezüglich Fußballanleihen ist gut.“
Problematisches Jahr für Immobilienanleihen
Schwierig war das Jahr 2021 hingegen für viele Immobilienanleihen: „Nicht nur der Eyemaxx-Fall hat Spuren hinterlassen, auch Adler Real Estate und vor allem Evergrande aus China haben der Branche zugesetzt“, erklärt Brunner. „Doch auch hier trennt sich die Spreu vom Weizen.“ Etwa werde der bis 2025 laufende Bond des Immobilienentwicklers Noratis (DE000A3H2TV6) mit Kupon von 5,5 Prozent zu 106,5 Prozent gehandelt.
Im schwierigen Umfeld der Autozulieferer gut geschlagen hat sich Neue ZWL Zahnradwerk Leipzig, wie Brunner außerdem feststellt. Eine ältere Anleihe mit Kupon von 6,5 Prozent ist im kommenden November fällig (<DE000A289EX3>), die neueste mit 6 Prozent 2026 (DE000A3MP5K7), beide werden über 100 Prozent gehandelt.
Immer mehr ESG-Anleihen
Was Neuemissionen angeht, war 2021 ein extrem gutes Jahr, viele Unternehmen deckten sich angesichts der niedrigen Zinsen mit frischem Geld ein. „Anfang dieses Jahres dürfte es nochmals viele Neuemissionen geben“, meint Brunner.
Immer mehr Neuemissionen waren 2021 übrigens ESG-Anleihen. „Es verging fast kein Handelstag, an dem nicht ein Green Bond, eine Sozialanleihe oder ein Sustainability-Titel begeben wurde“, schreibt die Börsen-Zeitung. „Die Nachfrage nach diesen Papieren war enorm.“ 2022 würden wohl noch viele weitere folgen. „Alles andere wäre eine faustdicke Überraschung.“
von: Anna-Maria Borse, 7. Januar 2022, © Deutsche Börse