MARKTKOMMENTAR zur EU-Kleinanlegerstrategie: / Fünf Schritte, die
Aktienkultur zu stärken (FOTO)
Marburg (ots) - MARKTKOMMENTAR zur EU-Kleinanlegerstrategie / Von Prof. Dr.
Michael Heuser, Wissenschaftlicher Direktor des DIVAMarburg, 31. Mai 2022 /
Altersvorsorge und Geldanlage in Deutschland: / Fünf Schritte, die Aktienkultur
zu stärken
In einem von besorgniserregender Geldentwertung und niedrigen Zinsen geprägten
Umfeld gewinnen auf Aktien basierende Geldanlage und Altersvorsorge weiter an
Bedeutung. Die Berliner Ampelparteien haben im Koalitionsvertrag gleich mehrere
Vorhaben zur Förderung der aktienbasierten Altersvorsorge vereinbart. Auch die
EU-Kommission verfolgt im Rahmen ihrer "Kleinanlegerstrategie" das Ziel eines
besseren Marktzugangs für Geldanlagen mit höherer Rendite.
Jeder Ansatz zu Förderung und Ausbau der Aktienkultur ist zu begrüßen. Kritisch
zu bewerten sind jedoch die Ausgangsthesen dieser politischen Bemühungen: "Der
Staat ist der bessere Kapitalanleger als die Bürgerinnen und Bürger" lautet die
nationale Botschaft, "Kleinanlegern wird der Marktzugang erschwert" die
europäische. Die Bürgerinnen und Bürger müssen jedoch nicht erst dazu angehalten
werden, ihre Altersvorsorge selbst in die Hand zu nehmen. So zeigen die beiden
regelmäßig durch das Deutsche Institut für Vermögensbildung und Altersvorsorge
(DIVA) erhobenen Indizes: Das Interesse der Menschen in Deutschland an
aktienbasierten Geldanlagen, Vermögensaufbau und an Altersvorsorge steigt
kontinuierlich.
Deutlich wird dies auch in der Anzahl der Fondssparpläne, der Wertpapierdepots
und der Aktionäre, die mit hoher Dynamik wachsen, ganz ohne staatliches Zutun.
Die Menschen in Deutschland haben verstanden, dass Aktien ihnen zur Vorsorge
dienen. Diesen Trend sollte die Politik konsequent fördern.
Fünf Punkte können wichtige Schritte zur Stärkung der Aktienkultur sein.
1.) Der Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger Rechnung tragen
Jenseits des gesetzlichen Rentensystems sind die Bürgerinnen und Bürger selbst
in der Lage, ihre Finanzthemen in die Hand zu nehmen. Ihnen ist bewusst, dass es
ohne zusätzliche private Vorsorge nicht geht. Deshalb sollten nicht staatliche
Zwänge, Regulierungen und Vorgaben, sondern Freiräume und Mündigkeit der
Bürgerinnen und Bürger das Leitbild politischen Handelns sein. Schließlich
werden diesen schon jetzt fast zehn Prozent vom Gehalt für die gesetzliche Rente
abgezogen. Warum also sollten die Bürgerinnen und Bürger noch zusätzlich
zwangsverpflichtet werden?
2.) Der Versuchung der Überregulierung widerstehen
Verbraucherschutz ist gut und wichtig. Aufgrund von Regulierungen sieht sich der
Verbraucher aber mit einer unüberschaubaren Menge an Informationen konfrontiert.
Ein Beispiel: Für Beratung und Abschluss einer Riesterrente erhalten Kunden
einen 50-seitigen Papierwust, auf dem sie sechs Unterschriften hinterlassen
müssen. Die überfordernde Bürokratie läuft Gefahr, das Gegenteil von gutem
Verbraucherschutz zu bewirken: Wer liest sich das denn alles durch? Zudem kommt
es beim Aufeinandertreffen von nationalen und EU-Regelungen zu Überschneidungen
und Widersprüchen, die häufig gar nicht oder nur unzureichend aufgelöst werden.
Stapelweise Formulare auszufüllen, schreckt die Bürgerinnen und Bürger letztlich
ab. Wer private Initiativen fördern und den Marktzugang verbessern will, sollte
deshalb Bürokratie und Komplexität reduzieren.
3.) Kompetente Beratung sicherstellen
Das Ziel der EU-Kommission, den Zugang zum Aktienmarkt zu verbessern, kann nicht
zuletzt durch eine qualitativ hochwertige Beratung unterstützt werden. Sie zu
fördern, muss Anliegen der Politik sein. Ohne Zweifel ist die Verbreitung von
Finanzprodukten zur Vorsorge in Deutschland auch das Verdienst kompetenter
Beraterinnen und Berater.
Was ist kompetente Beratung, und was ist den Bürgerinnen und Bürgern wichtig?
Wie DIVA-Umfragen zeigen, stehen maßgeschneiderte Lösungen an erster Stelle. Die
Menschen wollen keine zusätzliche Vorsorge von der staatlichen Stange. Aufgabe
eines Beraters ist es, die aktuelle finanzielle Situation des Kunden, seine
Produkt- und Risikopräferenzen zu bewerten, Zukunftspläne zu erörtern und
Lösungsvorschläge zu entwickeln. Dabei erklärt er die Zusammenhänge der
Finanzmärkte und übersetzt "Fachchinesisch" in die Sprache des Kunden. Um den
Marktzugang breiter Bevölkerungskreise, der "Kleinanleger", zu Aktienmärkten zu
erleichtern, muss die Politik daher die Rahmenbedingungen für Beratung
verbessern.
Dabei sind die Kosten eines Finanzproduktes nicht irrelevant, bilden aber auch
nicht das alles entscheidende Kriterium. Schließlich liegen die Ursachen höherer
Kosten oft in besserem Service, flexibleren Produkten und maßgeschneiderter
Beratung - Faktoren, die vielen Kunden sehr wichtig sind. Die fatalen Folgen
einer Kostenregulierung zeigen sich am PEPP, der "Europa-Rente", mit der die EU
Altersarmut bekämpfen will: Seine Kosten dürfen einen Prozent nicht übersteigen;
infolgedessen gibt es bislang europaweit kein einziges Angebot am Markt. Für den
Kunden viel wichtiger als der Preis ist die Sinnhaftigkeit des Produktes.
4.) Digitalisierung richtig nutzen
Finanzangebote im Internet bieten scheinbar attraktive Produkte und
Kostenvorteile. Sie bieten aber keine Lösungen für individuelle Lebensumstände.
Das One-size-fits-all von Standardprodukten und der Kauf ohne Beratung können
teuer werden und beinhalten die Gefahr, individuelle Versorgungslücken zu
übersehen. Zwar können digitale Tools den Beratungsprozess sinnvoll ergänzen,
zum Beispiel durch Simulation unterschiedlicher Finanzszenarien oder auch für
virtuelle Rückfragen; die digitale Welt kann persönliche Vermögens- und
Vorsorgeberatung jedoch nicht ersetzen. Eine Integration der beiden Welten kann
aber Zeit- und Kostenvorteile bringen. Ihre kluge Kombination ist die Zukunft
der Finanzberatung.
5.) Finanzbildung verbessern
Das Interesse der Bevölkerung an Finanzfragen muss gefördert, Beratungsqualität
ausgebaut und Finanzbildung verbessert werden. In Deutschland gibt es bisher
noch keine Strategie zur Verbesserung der Finanzbildung oder zur
Qualitätssicherung von vorhandenen Programmen. Wie Studien zeigen, können
Bildungsprogramme das Finanzwissen jedoch deutlich verbessern. Von politischer
Seite aus bedarf es daher einer Strategie zum Ausbau der Finanzbildung. Die
Unterstützung von Bildungsanbietern oder die steuerliche Absetzbarkeit von
Bildungsinvestitionen sind Beispiele für Maßnahmen, die hierzu beitragen können.
Alle Schritte gehen Hand in Hand und können politisch gestützt werden: die
Mündigkeit der Menschen ernstnehmen, Finanzthemen von bürokratischem Wust
befreien, überbordende Regulierung von Finanz- und Vermögensberatung behutsam
zurückfahren, Finanzbildung stärker fördern. Jeder für sich wäre ein guter
Schritt in Richtung einer modernen Finanz- und Aktienkultur in Deutschland.
Zusammen brächten diese mutigen Schritte sie auf ihrem Weg ein gutes Stück
voran.
DIVA - Deutsches Institut für Vermögensbildung und Alterssicherung
Das DIVA versteht sich als Meinungsforschungsinstitut für finanzielle
Verbraucherfragen und ist ein An-Institut der Fachhochschule der Wirtschaft
(FHDW). Geschäftsführender Direktor ist Dr. Helge Lach, zugleich Vorsitzender
des Bundesverbands Deutscher Vermögensberater (BDV); die Wissenschaftliche
Leitung liegt bei FHDW-Professor Dr. Michael Heuser. Veröffentlichungen des DIVA
und weitere Informationen unter http://www.diva.de .
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Prof. Dr. Michael Heuser, Wissenschaftlicher Direktor
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