Wettlauf gegen die Zeit / Kommentar zur Lage bei Thyssenkrupp von
Annette Becker
Düsseldorf (ots) - Das ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Zu dieser
abgedroschenen Phrase hat sich Martina Merz gar nicht erst hinreißen lassen. Aus
gutem Grund. Denn wenn die Vorstandschefin von
Thyssenkrupp eines nicht hat, dann ist es Zeit. Ob es dazu der an die
Öffentlichkeit getragenen Worte aus dem Eigentümerkreis bedurfte, mag
dahingestellt bleiben. Denn nicht nur Cevian-Partnerin Friederike Helfer ist
klar, dass "bisher noch nicht genug passiert ist". Allerdings kann man den
aufgestauten Ärger auch verstehen, geht es doch nicht nur für die Belegschaft
mit weiterem Stellenabbau ans Eingemachte. Auch die Aktionäre schauen erneut in
die Röhre - trotz des satten Buchgewinns aus dem Elevator-Verkauf und prall
gefüllter Kassen.
Die mit dem Verkauf der Aufzugssparte eingenommenen Milliarden schmelzen jedoch
dahin wie Eis in der Sonne. Nicht nur, dass sich im abgelaufenen Turnus mal eben
5,5 Mrd. Euro im operativen Geschäft verflüchtigten. Auch im laufenden Turnus
geht das Geldverbrennen weiter. Veranschlagt wird erneut ein Mittelabfluss von
1,5 Mrd. Euro. Ein Ende ist nicht in Sicht.
Das Geld fehlt aber, um die Bilanz tatsächlich auf Vordermann zu bringen. Denn
es ist eine Sache, wenn dank des Cashs in der Kasse aus Nettoschulden
Nettovermögen wird. Ohne tatsächlichen Schuldenabbau ist aber niemandem gedient.
Zum Bilanzstichtag standen Bruttofinanzschulden von 6,5 Mrd. Euro in der Bilanz.
Die für Dezember angekündigte Tilgung einer 850ŽMill. Euro schweren Anleihe ist
da nur ein schwacher Trost.
Noch düsterer sieht es bei den Pensionsverbindlichkeiten aus, die die Bilanz
weiterhin mit 8,5 Mrd. Euro belasten. Das Versprechen, zumindest einen Teil des
Verkaufserlöses zur Ausfinanzierung der Pensionsansprüche zu verwenden, ist
nämlich Schnee von gestern. Die Rückbeteiligung am Aufzugsgeschäft, die nach
früheren Aussagen in ein Treuhandvermögen überführt werden sollte, schmückt
jetzt das Geschäftsfeld Multi Tracks. Ursprünglich als Bad Bank für aussortierte
Geschäfte gedacht, soll Multi Tracks jetzt zum "Vehikel für das
Beteiligungsmanagement" aufgewertet werden.
Die eigentliche Krux aber ist die Minderperformance in allen operativen
Geschäften. Mit Ausnahme von Industrial Components und Marine Systems haben alle
Sparten rote Zahlen geschrieben. Allen voran das Stahlgeschäft, das auch im
neuen Geschäftsjahr auf keinen grünen Zweig kommen wird. Merz mahnt beharrlich
Performance-Verbesserungen an - bislang ohne sichtbaren Erfolg. Viel Zeit bleibt
nicht mehr.
(Börsen-Zeitung, 20.11.2020)
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