Lebensmittel-Lieferdienste verbrennen seit Jahrzehnten das Geld der
Anleger/Geschäftsmodelle haben sich als nicht tragfähig erwiesen
Bonn (ots) - In Rekordzeit versprechen die neu entstandenen Lieferdienste wie
Gorillas oder Flink die Belieferung ihrer Kunden mit Lebensmitteln. Sogar in 10
Minuten sind manche Lebensmittel ausgeliefert.
"Die Geschäftsmodelle der Lebensmittel-Lieferdienste bergen für Anleger große
Risiken bis hin zum Totalverlust", warnt Prof. Dr. Otto A. Strecker, Experte für
Lebensmittelmarketing.
"Seit mehr als 20 Jahren werden die immer gleichen Fehler wiederholt", mahnt
Strecker, doch es ist offensichtlich zu viel Kapital auf der Suche nach Anlage.
Die aktuellen Geschäftsmodelle gleichen vielfach gescheiterten Ansätzen teils
bis ins Detail. "Es muss an der Jugend der Start-up-Unternehmer und an dem
jugendlichen Leichtsinn der Investment-Banker liegen, dass sich keiner mehr an
die Totalverluste aus den beiden letzten Jahrzehnten erinnert, resümiert der
Bonner Experte, der seit der Jahrtausendwende das Thema forschend und beratend
begleitet. 2001 legte der US-Pionier Webvan eine milliardenschwere Pleite hin.
Anleger verloren bis zu 34 Dollar pro Aktie, 2.000 Beschäftigte ihren Job. Beim
Platzen der Dotcom-Blase waren zuvor schon ähnliche Geschäftsmodelle von
Streamline und weiteren Lebensmittel-Lieferdiensten gescheitert. Der lange als
Vorreiter gefeierte Pionier Peapod konnte nur durch eine Übernahme durch Ahold
knapp gerettet werden.
In Deutschland ist die Liste der gescheiterten Versuche ähnlich lang. Schon zur
Jahrtausend-Wende war mit der Direktkauf AG ein bundesweiter Anbieter am Start,
der flächendeckende Lieferungen versprach. Sogar im Bio-Segment waren
Spezialisten wie die Unitednature angetreten. Klassische Lebensmittelhändler
setzten damals schon eine Belieferung aus den stationären Geschäften dagegen.
Keines der Geschäftsmodelle war jemals erfolgreich. Ob Otto, Karstadt,
Direktkauf, Kaufhof, Spar, Tegut, LeShop oder andere: Die Liste der
eingestellten Versuche ist lang. Gäbe es Gräber für Unternehmen, ließe sich
allein mit den verschiedenen Lebensmittel-Bringdiensten ein kleiner
Unternehmensfriedhof füllen.
"Man braucht eigentlich nur etwas gesunden Menschenverstand und Kenntnis der
grundlegenden Merkmale des Geschäftes", so Strecker weiter, der mit der AFC
Consulting Group Unternehmen aus Lebensmittelindustrie und -handel berät. "Für
1,80 Liefergebühr flitzt der Fahrradkurier in ausgewählten Stadtteilen einiger
Millionenstädte also im Extremfall zehn Minuten zu nur einem Kunden und zehn
Minuten wieder zurück zu dem Mini-Lager, wo die nächste Bestellung auf ihn
wartet. Wie soll sich das rechnen, von der Qualität der Arbeitsverhältnisse und
der Ressourceneffizienz der Logistik einmal abgesehen?" In kaum einer Branche
sind die Umsatzrenditen so gering wie im Lebensmittelhandel. Auch große Player
wie Kaisers/Tengelmann oder real waren dem in den letzten Jahren nicht
gewachsen. Hier wird das Geld bekanntermaßen im Einkauf verdient. Gegen die
Einkaufsvolumina der großen Einzelhändler haben die spezialisierten Bringdienste
keine Chance. Selbst, wenn die Handelsmarge auskömmlich wäre, um die
Auslieferung zu subventionieren, so müssen darüber hinaus erhebliche Fixkosten
verdient werden, die aus dem Geschäftsmodell einfach nicht zu bezahlen sind.
Streuverluste der Marketingaufwendungen beispielsweise sind gigantisch, wenn nur
einige Innenstadtlagen der Metropolen beliefert werden, dafür aber intensiv
landesweit geworben werden muss. Die Kosten der Beschaffung und interne
Distribution ebenso wie für Abschriften von Frischwaren sind meist größer, als
die Gründer es erwarten.
"Wer in diese Geschäftsmodelle investiert, muss wissen, dass er einen
Totalverlust erleiden kann", warnt Strecker. Das Thema Auslieferung von
Lebensmitteln ist seit jeher kein profitables Geschäft, sondern - wie seit
hundert Jahren üblich - als Kundendienst für stationäre Händler sinnvoll. Diese
binden ihre Kunden an sich und können im besten Fall etwas über diese lernen,
das ihnen auch für das stationäre Geschäft nützt. Es sind also dann die Daten,
die wertvoll sind und nicht die Margen aus dem Geschäft an sich.
Ansonsten lohnt sich die Lebensmittel-Lieferung nach wie vor für
Spezialsortimente, zu denen es im stationären Handel oftmals kein breites
Angebot gibt, etwa für Produkte mit besonderen gesundheitsbedingten
Anforderungen, für Nahrungsergänzungsmittel oder für hochwertige Spezialitäten
im Feinkost- oder Getränkebereich. Daraus lassen sich nur eben nicht solche
Businesspläne herleiten, die den Investoren mehrstellige Milliardenumsätze in
Aussicht stellen.
Sollten die Umsätze der Gastronomie-Lieferdienst nach der Corona-Krise
zurückgehen, werden auch diese versuchen, in das Geschäft mit
Lebensmittel-Lieferungen vorzudringen. Der Wettbewerb wird dann noch härter.
Strecker wundert sich aber nicht nur über die Investoren, sondern auch über die
Kunden der Lieferdienste wie Gorillas oder Flink. Am Prenzlauer Berg in Berlin,
in Hamburg-St. Georg oder in Köln Nippes sind es immer nur ein paar Schritte, um
den Einkauf zu erledigen, der durch die kurzfristige Lieferung ersetzt werden
soll. Gerade, wer auf Qualität der Lebensmittel setzt und bereit ist, so
hochpreisig wie bei den Lieferdiensten einzukaufen, wird die Beschaffenheit der
Avocado doch selber prüfen wollen, bevor er sie bezahlt. "Wenn ich wegen
fehlender Frische-Artikel im Sortiment sowieso noch einmal vor die Tür muss, hat
sich die Online-Bestellung ohnehin erledigt", so der Lebensmittel-Experte.
Prof. Dr. Otto A. Strecker ist Vorstand der AFC Consulting Group AG in Bonn. Er
ist Honorarprofessor für Agrarökonomie an der Universität Bonn und Co-Autor des
Lehrbuchs "Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte".
Die AFC Consulting Group AG ist eine Unternehmensberatung für die
Lebensmittelwirtschaft und mit ihr verbundene Wirtschaftsbereiche. Mit 45
Mitarbeitern werden an den Standorten Bonn und Berlin seit 1973
Beratungsleistungen wie Strategieentwicklung oder Krisenmanagement für
Unternehmen und Organisationen des Sektors erbracht.
Pressekontakt:
AFC Consulting Group AG
Prof. Dr. Otto A. Strecker
Dottendorfer Str. 82
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mailto:otto.strecker@afc.net
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OTS: AFC Management Consulting