Europas Investoren arbeiten immer stärker mit ETFs – und setzen dabei gern auf die Vorteile des Börsenhandels. Uli Kühn vom ETF Magazin erklärt, warum.
15. März 2021. MÜNCHEN (ETF Magazin). Endlich ist die magische Marke von einer Billion geknackt. Zum Jahresende 2020 steckten 1.041 Milliarden Euro in europäischen ETFs und börsengehandelten Zertifikaten, berechneten die Londoner ETF-Marktforscher von ETFGI. „Die furiose Aufholjagd an den Aktienmärkten, vor allem jedoch das starke Neugeschäft, haben 2020 das ETF-Vermögen in neue Höhen getrieben“, erklärt Ali Masarwah von der Fondsrating-Agentur Morningstar. Rund 103 Milliarden Euro sammelten europäische ETFs im vergangenen Jahr ein. Damit packten Anleger 2020 fast genau so viel Geld in ETFs wie im Vorjahr – trotz zwischenzeitlicher Abflüsse in der Corona-Krise. Schon im zweiten Quartal kam die Geldflut zurück, mit gigantischen Zuflüssen von mehr als 30 Milliarden Euro. Bis zum Jahresende setzte sich dieser Trend fort.
Ein genauerer Blick auf die Zahlen zeigt einige interessante Entwicklungen. So konnten zwar Aktien-ETFs mit rund 55 Milliarden Euro auch 2020 das meiste Geld anziehen. Doch in Relation zum bereits investierten (niedrigeren) ETF-Vermögen war bei den Renten-ETFs das Wachstum stärker. Die Zuflüsse der Renten-ETFs lagen 2020 bei rund 33 Milliarden Euro. Sehr gefragt waren im Krisenjahr 2020 auch börsengehandelte Gold-Zertifikate (ETC), die sich über Neugelder von rund 13 Milliarden Euro freuen konnten. Der Großteil der neuen Mittel wurde davon von nur zwei Gold-ETCs aufgesogen.
Masarwah
Über die Anlageklassen hinweg als große Gewinner entpuppten sich im vergangenen Jahr ETFs mit Nachhaltigkeits-Fokus. 43 Milliarden Euro frisches Geld floss in diese Fonds, berechneten die Analysten des Münchner ETF-Brokers Crossflow. Mit 35 Milliarden Euro entfiel dabei der Großteil auf nachhaltig ausgerichtete Aktien-ETFs, doch nachhaltige Renten-ETFs konnten immerhin 8 Milliarden Euro anziehen. Insgesamt verdoppelte sich dadurch das Anlagevolumen der Nachhaltigkeits-ETFs innerhalb eines Jahres auf mehr als 86 Milliarden Euro.
Eine treibende Kraft für diesem Erfolg hatte wohl auch die fleißige Emissionsarbeit der ETF-Anbieter, die im vergangenen Jahr 78 neue Aktien- und 33 neue Renten-ETFs mit nachhaltigem Investmentansatz auf den Markt brachten. Nach Crossflow-Zählung gab es dann zum Jahresende in Europa 341 Nachhaltigkeits-ETFs, 254 davon waren mit Aktien bestückt, 87 mit Anleihen.
Neben den Nachhaltigkeits-ETFs konnten 2020 auch Themen-ETFs stark zulegen. Gefragt waren dabei vor allem ETFs mit Aktien aus den Bereichen Zukunftstechnologien und Innovationen im Gesundheitsbereich. Trotz des kräftigen Wachstums bleiben Themen-ETFs dennoch ein Nischenprodukt. Crossflow errechnete für diese ETFs ein Gesamtvermögen von knapp 23 Milliarden Euro zum Jahresende. Das steckte in 93 ETFs – von mehr als 1800 insgesamt in Europa verfügbaren ETFs.
Bemerkenswert ist auch das kräftige Wachstum des ETF-Handels an den europäischen Börsen im abgelaufenen Jahr. Die Londoner Börse meldete einen Anstieg des Orderbuchvolumens um 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das war eine fast zehnmal so starke Zunahme wie beim Handel mit anderen Wertpapieren: Der Gesamtumsatz der Börse stieg 2020 nur um 5,9 Prozent. Die Deutsche Börse meldete mit plus 58 Prozent sogar einen noch größeren Umsatzsprung im ETF-Handel. Dieser Zuwachs lag deutlich über dem Anstieg von 22,6 Prozent im Aktienhandel.
Insgesamt stieg das börsengehandelte ETF-Volumen in Europa im vergangenen Jahr um 46 Prozent auf 828 Milliarden Dollar, zeigen Zahlen von Blackrock. Nach Einschätzung der Blackrock-Analysten erhöhte sich das Volumen des ETF-Börsenhandels dabei nicht nur durch ein allgemein belebteres ETF-Geschäft. Ein wesentlicher Grund sei auch die geringere Bedeutung des außerbörslichen ETF-Handels gewesen.
30 Prozent des europäischen ETF-Umsatzes wurden im vergangenem Jahr an den Börsen abgewickelt, schätzt Blackrock. Im Jahr 2019 hätte der Börsen-Anteil nur bei 25 Prozent gelegen. Der restliche Teil des Geschäfts läuft nach Blackrock-Schätzung über den Telefonhandel oder über multilaterale Handelssysteme, wie sie von Tradeweb und Bloomberg betrieben werden.
Früher seien vor allem kleine Handelsvolumina über die Börse abgewickelt worden, erklärt Sander Van Nugteren, Managing Director im iShares Global Markets Team von BlackRock. „Ab der Größenordnung von 3 bis 4 Millionen Dollar wurde bislang in der Regel außerbörslich gehandelt“, berichtet der Marktkenner. Doch zunehmend würden die Marktteilnehmer auch großen Aufträge über die Börsen abwickeln. Aufgrund des inzwischen oft höheren Volumens seien die Market Maker jetzt auch bei größeren Aufträgen in der Lage, ihre Positionierung schnell abzusichern und abzudecken. Mit dem höheren Gewicht des Börsenhandels nähert sich die europäische ETF-Handelslandschaft nun immer mehr dem älteren US-Markt an, wo etwa 60 Prozent der ETF-Umsätze über Börsen abgewickelt werden. “Wir sehen, dass die ETFs an Größe zunehmen, und wir sehen mehr börslichen Handel. Die Branche wird definitiv reifer“, kommentiert Nugteren.
von Uli Kühn
© März 2021, ETF Magazin
Dieser Artikel stammt aus dem aktuellen ETF Magazin. Das ETF Magazin erscheint quartalsweise in Zusammenarbeit mit Focus Money und richtet sich an Berater, Vermögensverwalter und Portfoliomanager, ist aber sicher auch für informierte Anleger interessant.
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