Paradigmenwechsel, Kommentar zum EU-Lieferkettengesetz von Stefan
Reccius
Frankfurt (ots) - Mit ihrem 69 Seiten langen Vorschlag für ein europaweites
Sorgfaltspflichtengesetz hat die EU-Kommission wahrlich einen Nerv getroffen.
Aus allen Ecken von Wirtschaft, Finanzbranche und Zivilgesellschaft hagelte es
Reaktionen. Von vernichtender Kritik in mittelstandsnahen Kreisen bis zum
Vorwurf, die EU-Kommission habe zu viele Schlupflöcher gelassen, war alles
dabei. Leisere Töne schlugen Banken- und Versicherungsverbände an. Dabei hat es
der Vorschlag der EU-Kommission auch mit Blick auf den Finanzsektor in sich.
Banken und Versicherer, Pensionsfonds und Vermögensverwalter - alle finden im
Gesetzesvorschlag aus Brüssel Erwähnung. Finanzinstitute müssen künftig nicht
nur noch genauer prüfen, mit wem sie Verträge schließen. Sie müssen auch
nachverfolgen, was die Vertragspartner mit dem von ihnen ausgereichten Geld
anstellen, und zwar in sämtlichen Winkeln ihrer globalen Wertschöpfungsketten.
Klingt kompliziert? Ist es auch. Deshalb ist es sinnvoll, dass die Verbände der
Banken- und Versicherungsbranche die einschlägigen Passagen des geplanten
EU-Sorgfaltspflichtengesetzes penibel untersuchen, bevor sie nach dem Vorbild
vieler Wirtschaftsverbände aus vollem Halse loskrakeelen.
Ihre Sorgen, dass es die EU-Kommission zu weit getrieben hat mit ihrem hehren
Vorhaben für einen besseren Schutz der Menschenrechte und die Rettung des
Klimas, sind nicht unbegründet. Vor allem die Sorgen der Mittelständler muss die
Behörde ernst nehmen bei den Feinarbeiten an der Richtlinie. Sonst drohen die
stolzen Maschinenbauer, Automobilzulieferer und andere Hidden Champions
zerrieben zu werden zwischen hohen Kosten für Gesetzestreue und anderen
Konzernen, die bei der Wahl günstiger Geschäftspartner ihre Marktmacht
ausspielen könnten.
Die eigentliche Brisanz des EU-Lieferkettengesetzes steckt aber woanders:
Unternehmen sollen künftig sicherstellen, dass Geschäftsmodell und Strategie in
Einklang mit den Pariser Klimazielen sind. Das steht zwar in direkter Tradition
verwandter Rechtsakte wie der nicht-finanziellen Berichterstattung und der
höchst kontroversen EU-Taxonomie. Aber es ist das erste Mal, dass die
europäische Politik Unternehmen direkt zum Kampf gegen den Klimawandel
einspannt. Das kann man begrüßen oder kritisieren, Fakt ist: Es handelt sich um
einen Paradigmenwechsel. Dafür will die EU-Kommission auch Geschäftsführer
direkt in die Pflicht nehmen. Die fürchten, künftig persönlich in Haftung
genommen zu werden. Auch das dürfte die Versicherer noch beschäftigen.
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