Nach dem dramatischen Kurseinbruch im vergangenen Jahr starten Anleihen ihr Comeback. Der Zeitpunkt für Investments in Renten-ETFs erscheint günstig – doch es gilt, zahlreiche Faktoren zu beachten, wie das ETF Magazin betont.
25. Mai 2023. MÜNCHEN (ETF Magazin). Feste Zinsen, in der Regel hochsolvente Emittenten, meistens eher niedrige Renditen: Anleihen gefallen vielleicht risikoscheuen Anlegern, doch unter renditeorientierten Finanzberatern und Investoren lösen die Festverzinslichen eher selten Begeisterungsstürme aus. In der langen Niedrigzinsphase der letzten Jahre galt das allemal. Einzig in der Funktion als sicherer Hafen sehen viele eine Existenzberechtigung für Anleihen, sofern es sich nicht um Staatsanleihen von Ländern wie Venezuela oder Anleihen von Unternehmen mit fragwürdigen Geschäftsmodellen handelt. Was für die einzelnen Anleihen gilt, passt auch auf Anleihen-ETFs – auch Renten- oder Bond-ETFs genannt. Und doch scheint jetzt ein günstiger Zeitpunkt für Investments in Renten-ETFs gekommen zu sein.
Renten-ETFs bilden passiv bestimmte Anleihenindizes nach. Anleihen-ETFs, die sich auf Emittenten mit guter Bonität konzentrieren, gelten als sehr sichere Investition. In einem gemischten Anlageportfolio werden sie oft als wertstabilisierende Position eingesetzt. Dazu trägt auch bei, dass in einem Renten-ETF die Zielinvestments und damit die Verlustrisiken breit gestreut sind. Breit aufgestellte Renten-ETFs mit vielen Papieren sehr guter Emittenten bieten deshalb gleich doppelte Sicherheit.
Zusatzgewinne möglich
Oft fragen Anleger nach der Wirkung von Kursschwankungen auf die Gesamtrendite einer Anleihe oder eines Anleihen-ETF. Ihnen sei gesagt: Renditen ergeben sich in der Hauptsache durch die Zinsen, kaum durch spekulative Aktionen mit Einzelwerten. Gleichwohl können weitere Gewinne durch Kurssteigerungen zwischen Ankaufs- und Verkaufszeitpunkt entstehen. Das gilt insbesondere bei Anleihen-ETFs. Denn durch deren viel kleinere Stückelung profitieren Anleger von weitaus niedrigeren Implementierungskosten als beim Direktkauf von Anleihen. Insgesamt ist jedoch klar festzuhalten, dass Investoren mit der Hoffnung auf hohe Wertzuwächse und Kursgewinne mit Anleihen-ETFs schlecht bedient sind.
Neue Doppel-Chance
Anleihen-ETFs sind deutlich risikoärmer als ETFs, die Aktienindizes abbilden abgesehen von Renten-ETFs für Schwellenländer-Anleihen oder Hochzinsanleihen. Aufgrund ihres geringeren Risikos bieten Anleihen-ETFs naturgemäß meist geringere Renditen. Aber wie bei jedem Anlageprodukt, das eine Rendite bietet, bleiben auch bei Renten-ETFs Risiken. So steigen bestehende Anleihen-ETFs im Wert, sobald das Zinsniveau sinkt, weil die höher verzinslichen älteren Anleihen stärker nachgefragt sein werden als die geringer verzinsten Neuemissionen. Im Gegenzug heißt das aber auch, dass der Wert bestehender Anleihen-ETFs bei steigendem Zinsniveau sinkt. In dieser Phase befinden wir uns aktuell.
In der langen Niedrigstzinsphase der vergangenen Jahre hatten viele Investoren die Anleihen schon abgeschrieben. Im vergangenen Jahr aber sorgte die schnelle Anhebung der Leitzinsen, insbesondere der US-Notenbank Fed und der Europäischen Zentralbank, plötzlich für höhere Zinskupons. Die Folge war ein dramatischer Kurseinbruch bei den meisten Anleihen-ETFs, die ja hauptsächlich ältere, niedriger verzinste Anleihen im Portfolio hatten. Für Investoren ergibt sich dadurch jetzt eine Doppel-Chance. Denn erstens füllen sich nach und nach automatisch die bestehenden ETFs mit den neuen, höher verzinsten Anleihen. Zweitens bieten sie auf mittlere bis längere Sicht doch noch und ganz unerwartet die Chance auf zusätzliche Kursgewinne.
Talsohle erreicht
Nach einhelliger Meinung der meisten Anbieter ist ein neues Absinken der Kurse vorerst nicht zu erwarten, denn in den aktuellen Anleihenkursen seien die höheren Zinsen schon eingepreist. Die Preis-Talsohle bei den Anleihen-ETFs scheint erreicht zu sein und eine wachsende ETF-Nachfrage, verbunden mit Kurssteigerungen, ist zu erwarten. Jetzt ist also der optimale Zeitpunkt für den Einstieg oder ein Re-Balancing.
Zur Ehrlichkeit gehören aber auch zwei Hinweise: Erstens der, dass der Kursverlust von rund 15 Prozent aus dem vergangenen Jahr erst in einigen Jahren wieder aufgeholt sein wird, denn zu viele Altanleihen mit ihrer mickrigen Verzinsung sind noch lange im Markt. Zweitens ist bei keiner Kapitalanlage die Korrelation mit anderen Asset-Klassen zu vernachlässigen. Bei Anleihen zählt insbesondere die Korrelation zu Aktien. In welchem Maß sich Zinssteigerungen auch in den Kursen niederschlagen, hängt unter anderem davon ab, welche Bremsspuren die Verteuerung von Fremdfinanzierungen auf anderen Anlagemärkten hinterlässt.
Plötzlich gewinnt auch eine Faustformel wieder mächtig an Bedeutung, die schon fast in Vergessenheit geraten war: Die 60:40-Gewichtung in einem typischen, zwischen Sicherheit und Risiko ausgewogenen Multi-Asset-Portfolio, 60 Prozent Aktien, 40 Prozent festverzinsliche Anleihen. Ein solches Portfolio sollte natürlich genau zum Risikoprofil des Anlegers passen. Das hat jeder Berater, jede Beraterin ganz individuell zu ermitteln, um dann den entsprechenden ETF zu empfehlen.
Risikofaktoren lassen sich minimieren
Ganz risikolos sind Anleihen ohnehin nicht. Bei der Risikoanalyse international ausgerichteter ETFs stehen zunächst die Währungsrisiken im Vordergrund. Die Hauptrolle spielen dabei naturgemäß die Vereinigten Staaten mit ihrer größten Volkswirtschaft der Welt, die auch gleichzeitig die größte Schuldnerin der Welt ist. Ihre starke Marktdurchdringung spiegelt sich in der Zusammensetzung der Anleihen-ETFs wider, und damit schlagen auch die Kursschwankungen des US-Dollar durch. Um das Währungsrisiko für deutsche Anleger abzumildern, sichern ETF-Anbieter ihre Anleihen-ETFs häufig mit Währungsderivaten gegen Wechselkursschwankungen. Das ist ein sehr wichtiges Stabilisierungsinstrument. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass der Schuldenstand eines Staates nur sehr vordergründig ein nachvollziehbar sinnvolles Kriterium darstellt, um die Gewichtung der Anleihen innerhalb eines ETF zu bestimmen.
Die absolute Höhe der Schulden sagt nichts über die Kreditwürdigkeit eines Schuldners aus. Relevanter ist allenfalls die Schuldenquote, also das Verhältnis von Schulden zur Wirtschaftsleistung. Als Land mit der weltweit höchsten Verschuldung genießen die USA trotzdem ihr Triple-A-Rating. Man kann daher nicht sagen, dass Anleihenindizes Anleger in mehr Risiko steuern.
Ein weiterer Risikoaspekt ist das Laufzeitenmanagement. Wenig risikobereite Anleger konzentrieren sich besser auf Renten-ETFs, die deutlich überwiegend Anleihen mit kurzer Restlaufzeit enthalten, denn diese reagieren weniger stark auf Änderungen des Zinsniveaus als Anleihen mit langer Restlaufzeit. Es versteht sich, dass dabei die Restlaufzeiten innerhalb eines ETF grundsätzlich auch zum Anlagehorizont des Investors passen müssen.
Ein wenig zu sehr ist in Mode gekommen, dass Anleger durch aktives Handeln solche Grundprinzipien austricksen wollen. Sie erhoffen sich, durch Kauf und Verkauf die Performance in ihrem ETF-Portfolio zu verbessern. Damit führen sie ein passives Anlageprodukt ad absurdum – und scheitern regelmäßig. Besser wäre es, sich bei Anleihen-ETFs weniger auf die Höhe der Rendite zu konzentrieren als auf ihre Stabilisierungsfunktion. Es empfiehlt sich ein kluges Zusammenspiel von Anleihen mit durchschnittlicher Laufzeit von einem Jahr bis fünf Jahren, gepaart mit einer hohen Bonität der Anleihen-Emittenten.
Gleichzeitig sollten sicherheitsorientierte Anleger allerdings darauf achten, dass die Korrelation von Anleihen-ETFs zu den Aktienmärkten nicht zu groß ist. Je breiter die Streuung, umso niedriger der Einfluss von Stimmungen an den Aktienbörsen oder Immobilienmärkten auf das Anleihenportfolio. Immerhin haben wir es bei einem weltweit investierenden Anleihen-ETF mit 29000 Einzelwerten zu tun. Solch ein ETF reagiert in aller Regel weniger sensibel auf Entwicklungen anderer Asset-Klassen als beispielsweise ein Renten-ETF, der ausschließlich Anleihen aus dem Euro-Raum enthält.
Fazit
Nun sind wir in eine neue Zinsepoche eingetreten. Die steigenden Zinsen dürften auch die Zinserträge aus Anleihen-ETFs beflügeln. Die Durststrecke ist vorerst beendet. Und doch: Anleihen dienen vornehmlich der Risikoabsicherung. Es geht den meisten Anlegern bei Anleihen-ETFs weniger um hohe Renditen als vielmehr um eine erhöhte Sicherheit und Stabilität im Depot. Je breiter die Anleihenstreuung, desto niedriger die Korrelation zu anderen Asset-Klassen. Sinnvoll ist auch das Absichern von Währungsrisiken. Durch solche Maßnahmen sinkt die Volatilität im Gesamtportfolio. Nach dem Katastrophenjahr 2022 haben die Anleihen-ETFs jetzt genau diese Aufgabe als Diversifikator wieder übernommen, was der Investorennachfrage neuen Schwung verleihen dürfte.
von Davor Hovart und Moritz Schüssler, März 2023, © ETF Magazin
Der Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe des ETF Magazins, dem Fachjournal für Profis und informierte Anleger*innen.
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