Nach Fondsmanager Franks Eindruck sind die Personalprobleme aus Sicht hiesiger einschneidender als die Energiekrise und Lieferengpässe.
12. Dezember 2022. FRANKFURT (pfp Adisory). Ein bemerkenswertes Ergebnis aus zahlreichen Gesprächen, die ich zuletzt mit Vorständen börsennotierter Unternehmen geführt habe: Nicht die Energieversorgung oder den russischen Angriffskrieg in der Ukraine, sondern den Fachkräftemangel schätzen manche Firmenlenker als bedeutendstes Wachstumshemmnis ein.
Gerade wenn es um langfristige Risiken geht, steht dieses Problem oft ganz oben in der Rangliste. „Langfristig“ ist hier das Stichwort. Denn die deutsche Wirtschaft bewegt sich seit vielen Jahren in einem Trend, der recht verlässlich prognostiziert werden kann: Überalterung. Die geburtenstarken Jahrgänge wie die Babyboomer gehen nach und nach in Rente; und es treten zu wenig Junge ins Berufsleben ein, um diesen Schwund auszugleichen. Es gibt Prognosen, nach denen dadurch im Jahr 2035 deutschlandweit rund sieben Millionen Arbeitskräfte fehlen werden – dramatische Zahlen.
Die Konsequenz: In einigen Branchen haben die Unternehmen mittlerweile spürbar Probleme, ihre Wachstumspläne umzusetzen. Die Nachfrage wäre da, das Geld auch, aber es fehlen die Fachkräfte. Ein (erfolgreicher) Vorstand sagte mir während des Eigenkapitalforums in Frankfurt, er wisse selbst nicht, wie er dieses Problem lösen solle. Die Unternehmen selbst können einiges tun und sind teilweise kreativ, wenn es etwa um Anwerbung, Mitarbeiterausbildung, Arbeitsplatzausgestaltung, Kinderbetreuung, Homeoffice und sogar gezielte Quereinsteigerprogramme geht. Aber sie stehen letztlich in Konkurrenz zueinander, oft an konkreten Standorten, und haben kaum Einfluss auf den zugrundeliegenden demografischen Trend.
Hier wäre tatsächlich einmal der Staat gefragt. Zwar kann auch der Staat die Ursachen des heutigen Fachkräftemangels nicht beseitigen, denn die heute fehlenden Berufseinsteiger hätten vor rund 20 Jahren geboren werden müssen. Er kann gleichwohl einiges tun, um den aktuellen Engpass abzumildern. An allererster Stelle stünde meiner Meinung nach eine gezielte Einwanderungspolitik, die diesen Namen auch wirklich verdient, also gemäß deutschen Interessen gesteuert ist. Qualifizierte Fachkräfte sind weltweit begehrt, und sie gehen dorthin, wo sie sich wirklich willkommen und nicht nur geduldet fühlen. Abstruse bürokratische Vorschriften und langwierige, umständliche Genehmigungs- und Anerkennungsverfahren aus dem Fax-Zeitalter wirken nicht nur wie Stolpersteine, sondern regelrecht abschreckend. An dieser Stelle besteht meines Erachtens ein großer Hebel für Verbesserungen für den deutschen Staat, auf jeden Fall mittelfristig, teilweise auch kurzfristig.
Dabei darf es auch keine „heiligen Kühe“ geben. Ein späteres Renteneintrittsalter wäre ebenso zu diskutieren wie bessere Anreize zur Arbeitsaufnahme und sinnvolle Weiterbildungsprogramme. Um Engpässe in Behörden zu beseitigen, sollten auch Dienstverpflichtungen aufgrund der Treuepflicht von Beamten kein Tabu sein. Denn eines sollte allen Beteiligten, auch den Politikern, klar sein: Unbesetzte Arbeitsplätze bedeuten fast immer, dass dort Produktivität und Wertschöpfung nicht stattfinden kann, was den Wohlstand und damit auch den Umverteilungsspielraum für die gesamte Volkswirtschaft vermindert. Es darf nicht sein, dass klemmende Faxgeräte, nicht erreichbare Behördenmitarbeiter oder uneinheitliche IT-Landschaften für Wohlstandsverluste sorgen.
von Christoph Frank, 12. Dezember 2022, © pfp Advisory
Christoph Frank ist geschäftsführender Gesellschafter der pfp Advisory GmbH. Gemeinsam mit seinem Partner Roger Peeters steuert der seit über 25 Jahren am deutschen Aktienmarkt aktive Experte den DWS Concept Platow (LU1865032954), einen 2006 aufgelegten und mehrfach ausgezeichneten Stock-Picking-Fonds, sowie den im August 2021 gestarteten pfp Advisory Aktien Mittelstand Premium (<LU2332977128>). Weitere Infos unter www.pfp-advisory.de. Frank schreibt regelmäßig für die Börse Frankfurt.
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