Die „Jumbo“-Schritt genannte EZB-Zinserhöhung sorgt für Entspannung am Anleihemarkt. Ein Umschichten aus Aktien findet jedoch nicht statt. Investiert wird vorsichtig in Unternehmenstitel mit guter Bonität.
28. Oktober 2022Frankfurt (Börse Frankfurt). Die Europäische Zentralbank hat die Leitzinsen wie erwartet erhöht, mit Blick auf künftige Zinsschritte aber einen verhalteneren Ton angeschlagen. In der Folge sanken die Renditen in Europa deutlich.
Mit der Anhebung der Leitzinsen um 75 Basispunkte habe der Markt zu 100 Prozent gerechnet, kommentiert Hans-Joachim Lübbing von der Commerzbank. Unerwartet sei jedoch der weniger falkenhafte Ton im Vergleich zur September-Sitzung. „Zum Beispiel fehlte der Hinweis, dass die EZB selbst erwartet, in jeder der nächsten Sitzungen die Zinsen weiter zu erhöhen“, fasst Lübbing das Geschehen zusammen. Sein Kollege Martin Hartmann ergänzt: „Die Marktteilnehmer gehen jetzt eher von einer Verminderung des Zinserhöhungstempos auf der Dezembersitzung aus.“ Als Falken gelten die geldpolitischen Entscheider, die für höhere Zinssätze stimmen, um die Inflation zu dämpfen.
Erleichterung – Hoffnung – Vorsicht
„Erleichtert reagiert der Markt auch, weil die EZB keinen Beschluss gefasst hat, Anleihen zu verkaufen, um mit diesem so genannten Quantitative Tightening die Geldpolitik zu straffen“, ergänzt Tim Oechsner von Steubing. Weitere Zinsschritte würden jedoch kommen. „Die US-Notenbank Fed wird kommende Woche die Richtung vorgeben.“ Hier werde ein Zinsschritt von 50 Basispunkten statt 75 nun am Markt eingepreist. Zugleich steige die Hoffnung auf ein Nachlassen der Inflation.
Der Spagat der Notenbanken, die Inflation zu bekämpfen und die Wirtschaft aber nicht abzuwürgen, besteht nach Einschätzung von Oechsner weiter. „Die Anleger bleiben deshalb vorsichtig, denn wir befinden uns nach wie vor in einem Zinserhöhungszyklus.“ Die Stimmung wechsele zwischen größerer und niedrigerer Risiko-Neigung hin und her – je nach Nachrichtenlage.
Kein Umschichten von Aktien in Anleihen in Sicht
„Für private Anleger bleibt die Verzinsung auch nach der Zinserhöhung der EZB vergleichsweise unattraktiv“, berichtet Gregor Daniel von der Walter Ludwig Wertpapierhandelsbank. Für zweijährige deutsche Staatsanleihen beträgt die Verzinsung derzeit 1,83 Prozent, für fünf Jahre 1,89 Prozent. „Das ist immer noch ein niedriges Niveau, deshalb wird auch nicht von Aktien in Anleihen umgeschichtet“, berichtet der Spezialist vom Frankfurter Parkett.
Oechsner
Vorsichtige Anleger*innen kaufen ausgewählte Unternehmensanleihen
Gekauft werden nach Beobachtung von Daniel ausgewählte Unternehmensanleihen mit Laufzeiten zwischen zwei und drei Jahren von Unternehmen, die einen guten Namen haben.
Oechsner sieht ebenfalls in ausgewählten Anleihen Nachfrage, vor allem mit Laufzeiten von drei bis vier Jahren. „Wir sehen Käufe von Titeln mit guter Bonität, stärkeren Emittenten und krisenresistenten Geschäftsmodellen.“ Viele Anleger hielten aber hohe Bargeld-Bestände und blieben vorerst an der Seitenlinie.
Desinteresse im Immobiliensektor
Gemieden werde vor allem der Immobiliensektor. „Wir sehen hier deutliche Zurückhaltung, obwohl die Renditen zum Teil attraktiv sind“, bemerkt Daniel. Das Risiko steigender Zinsen werde höher gewichtet als die Renditemöglichkeiten. Trotz solider Neunmonatszahlen und eines bestätigten Ausblicks trifft beispielsweise die Anleihe der FCR Immobilien (<DE000A2TSB16>) nach Einschätzung von Daniel auf Missachtung. Auch DIC-Asset-Papiere würden darunter leiden. Die Anleihe war Ende September von 97 auf 90 Prozent gefallen, seit Mitte Oktober erholt sich der Kurs. Aktuell notiert das Papier bei 96 Prozent.
Daniel
VW-Papier am Tag der Quartalszahlen gefragt
Mit Veröffentlichung der Quartalszahlen vermerkt Daniel Käufe einer Volkswagen-Anleihe (XS1893631769), die bis 2026 läuft und mit 2,25 Prozent pro Jahr verzinst ist. „Auf dem aktuellen Niveau beträgt die Rendite der Anleihe 3,3 Prozent“, berichtet Daniel. Die gemeldeten Quartalszahlen spielten hier offensichtlich eine untergeordnete Rolle bei der Kaufentscheidung.
Von weiterhin hohen Umsätzen berichtet Oechsner mit Anleihen der Metalcorp Group, einem Dienstleister für die Beschaffung, die Produktion, den Abbau und die Vermarktung von Metallen und Mineralien. Die Anleihe mit 8,5 Prozent und Laufzeit 2026 (<DE000A3KRAP3>) war von 81 Prozent Ende September auf zeitweise unter 30 Prozent gefallen. „Bei aktuell 34 Prozent sehen wir hohe Umsätze auf der Kauf- wie auf der Verkaufsseite.“
Metalcorp kann eine Anleihe mit Fälligkeit Oktober 2022 nicht zurückzahlen und strebt eine Verlängerung der Laufzeit um ein Jahr an. Dafür solle der Kupon von 7 auf 8,5 Prozent erhöht werden. Eine erste Abstimmung der Gläubiger scheiterte daran, dass die Teilnehmerquote das erforderliche Quorum von 50 Prozent des ausstehenden Anleihevolumens nicht erreicht hatte. Metalcorp lädt nun zur Gläubigerversammlung am 18. November ein.
Im Zusammenhang mit dem Kursrutsch der Metalcorp-Anleihe fallen auch die Kurse des Hafeninfrastrukturbetreibers R-Logitech (DE000A3K73Z7>), einem Schwesterunternehmen der Metalcorp Group.
von: Antje Erhard, 28. Oktober 2022, © Deutsche Börse AG
Antje Erhard ist Journalistin und Moderatorin mit den Schwerpunkten Börse, Wirtschaft und Finanzen.
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