Ja, die EZB will ihre Geldpolitik straffen, und nein, es reicht im Kampf gegen die hohe Inflation nicht – das meinen zumindest viele Analysten. Unter Druck bleibt alles, was mit Russland und der Ukraine zu tun hat.
11. März 2022. Frankfurt (Börse Frankfurt). Es war nicht unbedingt so erwartet worden: Die EZB scheint nun doch auf die Bremse treten zu wollen. Am gestrigen Donnerstag kündigten die Notenbanker an, die Anleihekäufe im dritten Quartal dieses Jahres zu beenden. „Damit wäre eine Zinserhöhung noch in diesem Jahr denkbar“, bemerkt Arthur Brunner von der ICF Bank.
„Die EZB-Entscheidung hat durchaus überrascht“, meint der Händler. „Wegen des Ukraine-Kriegs hatten viele am Markt mit einer vorsichtigeren Gangart gerechnet.“ Laut dem ehemaligen EZB-Chef Jean-Claude Trichet hat die starke Aufwärtskorrektur der Inflationsprognosen die Notenbanker unter Zugzwang gebracht, wie Bloomberg meldet. „Eine Zentralbank kann nicht unbeweglich sein, wenn die Kerninflation bei 2,7 Prozent liegt.“ Der ehemalige EZB-Chefvolkswirt Peter Praet bezeichnete die Reduzierung der Anleihenkäufe in einem Gespräch mit Bloomberg TV allerdings nur als „Feinabstimmung”. Vom Markt sei dies als stärkere Botschaft missinterpretiert worden.
Angesichts der hohen Inflationsraten im Euroraum von 5,1 Prozent im Januar und 5,8 Prozent im Februar rechnet die EZB nun mit deutlich höheren Jahresraten: und zwar mit 5,1 (zuvor 3,2) Prozent für 2022, 2,1 (statt 1,8) Prozent für 2023 und 1,9 (statt 1,8) Prozent für 2024.
„EZB agiert viel zu zögerlich“
In jedem Fall sind die Renditen von Bundesanleihen wieder gestiegen: Zehnjährige Bundesanleihen werfen aktuell 0,27 Prozent ab, gestern waren es sogar 0,30 Prozent. Noch deutlicher war der Anstieg der Renditen von Staatsanleihen der südeuropäischen Länder, wie Brunner anmerkt. Zehnjährige italienische Staatsanleihen rentieren nun mit 1,87 Prozent, spanische mit 1,26 Prozent.
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer geht davon aus, dass die EZB den Leitzins noch in diesem Jahr zwei Mal um jeweils 25 Basispunkte anheben wird. „Immerhin ein erster Schritt. Aber das würde kaum etwas daran ändern, dass die EZB mit Blick auf die massiv gestiegenen Inflationsrisiken viel zu zögerlich agiert.“
USA mit fast 8 Prozent Inflation
In den USA liegt die Inflation sogar noch viel höher: Für den Februar meldeten Statistiker gestern 7,9 Prozent. Selbst die Kernrate, bei der die Preise für Energie und Nahrungsmittel rausgerechnet werden, lag bei 6,4 Prozent. Am kommenden Mittwoch steht die nächste Fed-Sitzung an, erwartet wird, dass die Notenbanker den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte anheben werden.
Krämer
Ukraine-Anleihen: kaum noch Umsätze
Noch mehr als die Notenbankpolitik prägt der Ukraine-Krieg den Anleihenhandel. Die Unsicherheit bleibt groß. Dass der Vermittlungsversuch der Türkei erfolglos blieb, führte zu Ernüchterung. Anleihen der Ukraine können zwar weiter gehandelt werden. „Umsätze gibt es aber kaum noch“, stellt Gregor Daniel von der Walter Ludwig Wertpapierhandelsbank fest und nennt als Beispiel eine auf US-Dollar lautende Staatsanleihe (XS1303929894). Russische Anleihen können – ebenso wie Aktien und Derivate – bereits seit dem 2. März nicht mehr an der Deutschen Börse gehandelt werden.
Stada abgestraft – Ecosem am Boden
Wohl aufgrund des Ukraine-Kriegs standen auch Anleihen des Pharmakonzerns Stada (<XS1213831362>) unter Druck, wie Daniel meldet. Das Unternehmen ist sowohl in Russland als auch der Ukraine aktiv und will das Russland-Geschäft nicht stoppen – der „Versorgung der Patienten“ wegen. Die Anleihe mit Kupon von 1,75 Prozent ist bereits am 8. April fällig. „Daher war der Kursrückgang auf kurzzeitig 93 Prozent schon auffällig“, bemerkt der Händler. Am Freitagmorgen wird die Anleihe wieder zu 98,25 Prozent gehandelt.
Nicht erholen konnten sich Daniel zufolge Ekosem-Anleihen (DE000A1R0RZ5). „Operativ hat Ekosem keine Probleme. Das Unternehmen verdient sein Geld aber in Rubel, und der hat massiv an Wert verloren.“ Die 2024 fällige Anleihe mit Kupon von 7,5 Prozent (<DE000A2YNR08>) notiert aktuell bei 23 Prozent, im vergangenen Sommer waren es noch 100 Prozent. „Interessant ist, was mit der im Dezember dieses Jahres fälligen Anleihe passiert (DE000A1R0RZ5).“ Ekosem ist die deutsche Holdinggesellschaft der Ekoniva Gruppe, eines der größten russischen Agrarunternehmen.
Käufe und Verkäufe gleichermaßen hat Brunner in der Hertha BSC-Anleihe (SE0011337054) beobachtet. Daniel meldet Käufe für Papiere des Energiekonzerns EnBW (XS1901055472).
Brunner
Kurzer Ausverkauf von KMU-Anleihen
Kräftig nach unten ging es Brunner zufolge Anfang der Woche für einige KMU-Bonds, also Anleihen von kleinen und mittelgroßen Unternehmen. Betroffen waren zum Beispiel Papiere des Immobilienentwicklers Pandion (DE000A289YC5), die auf 96 Prozent abrutschten, und der auf Solarenergie spezialisierten Fondsgesellschaft hep global (DE000A3H3JV5) mit kurzzeitig unter 84 Prozent. Mittlerweile haben sich die Papiere aber schon wieder erholt. „Offenbar musste ein Fonds wegen Rückflüssen kurzfristig verkaufen“, vermutet Brunner.
von: Anna-Maria Borse 11. März 2022, © Deutsche Börse AG
Borse
Anna-Maria Borse ist Finanz- und Wirtschaftsredakteurin mit den Schwerpunkten Finanzmarkt/Börse und volkswirtschaftliche Themen.
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