Bis vor kurzem hatte die steigende Inflation Anleiherenditen in die Höhe getrieben. Aktuell dominiert aber die Angst vor einem wirtschaftlichen Crash. Sichere Häfen sind wieder gefragt. Im Handel mit Unternehmensanleihen bleibt Adler Problemfall.
1. Juli 2022 Frankfurt (Börse Frankfurt). Die Rezessionsangst hat die Märkte weiter fest im Griff. „Das böse R-Wort geht um“, bemerkt Gregor Daniel von der Walter Ludwig Wertpapierhandelsbank. Und wenn keine Rezession, dann werde immerhin noch eine Stagflation erwartet – also Nullwachstum plus Inflation. „Das spiegeln Anleihen- und Aktienmärkte wider.“ Auch für Tim Oechsner von der Steubing AG bleibt die Stimmung angeschlagen. „Die Flucht in Qualität setzt sich fort. Sichere Bundesanleihen sind gesucht.“
Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen liegt daher aktuell wieder nur bei 1,33 Prozent. Mitte Juni waren es kurzzeitig 1,92 Prozent – ein Achtjahreshoch. Die Rendite von US-Treasuries gleicher Laufzeit beträgt knapp 3 Prozent. Im Hoch vor gut zwei Wochen waren es fast 3,50 Prozent.
„Deutschland könnte in tiefe Rezession stürzen“
Laut Hauke Siemßen von der Commerzbank schwankt der Rentenmarkt derzeit zwischen Inflationsängsten und Rezessionssorgen. „Auf der einen Seite scheint der Wille der globalen Zentralbanken ungebrochen, die Inflation durch Zinserhöhungen in den Griff zu bekommen“, erklärt der Anleiheanalyst. Das spreche für tendenziell steigende Renditen. „Allerdings schürt ein schneller Zinsanstieg auch die Rezessionssorgen, was zuletzt einen Rückgang der Renditen bedingt hat.“
Viele Ökonomen erwarten mittlerweile eine Rezession – in Europa, aber auch in den USA. „Sollten die russischen Erdgaslieferungen nach Abschluss der Wartungsarbeiten von Nord Stream 1 nochmals deutlich sinken oder schlimmstenfalls sogar versiegen, würde Deutschland unweigerlich in eine tiefe Rezession stürzen”, prognostizieren die Volkswirte der Deutschen Bank. Die Commerzbank hält bei Rationierungen von Gas eine schwere Rezession wie nach der Weltfinanzkrise – BIP-Rückgang 5,7 Prozent im Jahr 2009 – für ein realistisches Szenario.
„Requiem fü Niedriginflations-Ära“
Klare geldpolitische Aussagen kamen vom EZB-Forum im portugiesischen Sintra: Laut EZB-Präsidentin Lagarde, Fed-Chef Powell und Bank of England-Chef Bailey könnte der Welt eine Periode mit höherer Inflation bevorstehen. „Ein Trio von Notenbankgiganten schrieb in Sintra an einem Requiem für die Ära der Niedriginflation“, formuliert es die Nachrichtenagentur Bloomberg.
Große Sorge bereit in der Eurozone allerdings die Fragmentierung der Anleihemärkte. Damit gemeint ist ein zu großes Auseinanderdriften der Zinsen, die einzelne Eurozonenländer bezahlen müssen. „Sorgenkind“ ist vor allem Italien.
Die EZB hat bereits signalisiert, zu große Renditeabstände nicht akzeptieren zu wollen. „Details zu dem neuen Instrument bleiben vage, doch es scheint klar zu sein, dass die EZB Anleihenkäufe in der Peripherie plant, um die Renditeaufschläge auf aus ihrer Sicht angemessenen Niveaus zu halten“, erklärt Siemßen.
Interesse an Italiens Staatsanleihen
Oechsner beobachtet Interessen an italienischen Staatsanleihen, etwa an der im Januar begebenen Anleihe mit Fälligkeit 2052 und Kupon von 2,15 Prozent (IT0005480980) und der mit Fälligkeit 2051 und Kupon von 1,7 Prozent (IT0005425233). „Da wird offenbar damit gerechnet, dass die Kurse durch Unterstützungsmaßnahmen der EZB wieder steigen.“
Umsätze meldet Oechser auch für US-Staatsanleihen, etwa solche mit Laufzeit bis 2042 und Kupon von 2,75 Prozent (US912810QX90) oder bis 2023 und 2,25 Prozent (<US912828V236>). Auch in Papieren der Europäischen Union mit Kupon von 2,625 Prozent und Fälligkeit 2048 (EU000A3K4DM9) gehe einiges um.
Oechsner
Wieder Appetit auf (manche) Unternehmensanleihen
Die höheren Zinsen wecken unterdessen das Interesse der Privatanleger*innen an einigen Unternehmensanleihen. Beispiele sind Daniel zufolge Würth-Anleihen mit Fälligkeit 2030 und Kupon von 2,125 Prozent (XS2480515662) und VW-Bonds mit Laufzeit bis 2026 und 2,25 Prozent (XS1893631769). „Bei den VW-Anleihen liegt die Rendite mittlerweile bei 3,1 Prozent, da steigt so mancher gerne ein.“
Viel los ist diese Woche auch bei Papieren von Hornbach, Mahle und Takko Luxemburg, wie Karim Döring von Oddo BHF meldet. „Hornbach-Anleihen (DE000A255DH9) standen nach den jüngsten Unternehmenszahlen unter Abgabedruck, haben sich dann aber wieder stabilisiert.“
Nach Verlusten nicht fangen konnten sich dem Händler zufolge hingegen Anleihen des Autozulieferers Mahle (XS2341724172) und des Modediscounters Takko Luxembourg (<XS1710653137>, <XS1710653483>). „Bei Takko haben wir nach Bekanntgabe der neuesten Unternehmenszahlen viele Abgeber gesehen.“
Neue schlechte Nachrichten von Adler
Die Probleme der Adler-Immobiliengruppe lassen die Anleihen von Adler Group und Adler Real Estate weiter fallen. „Der Kurs der bis 2026 laufenden Anleihe (XS1713464524) ist diese Woche von 75 auf 65 Prozent zurückgegangen“, berichtet Döring. Der hoch verschuldete Immobilienkonzern hatte diese Woche den Verkauf weiterer Immobilien angekündigt. Außerdem prüft das Unternehmen unterschiedliche Möglichkeiten, auch die Zerschlagung. Die Kurse anderer Anleihen von Adler Real Estate und Adler Group sind ebenfalls weiter unter Abgabedruck, etwa die bei der Steubing AG gehandelten (<XS1713464441>) (XS1713464524) (<XS2248826294>). „Einen Komplettausverkauf sehen wir aber nicht“, ergänzt Döring von Oddo BHF.
Immobilienbranche angeschlagen
Andere Immobilienanleihen zeigen sich ebenfalls schwach, Döring nennt DEMIRE Deutsche Mittelstand Real Estate (DE000A2YPAK1) als Beispiel. Der Immobilienprojektentwickler Terragon hat diese Woche für sich und seine Tochtergesellschaften sogar Insolvenz angemeldet. Nach dem Scheitern eines wichtigen Immobilienverkaufs ist die Tochtergesellschaft Terragon Wohnbau zahlungsunfähig. Die Terragon AG selbst ist eigenen Aussagen zufolge noch zahlungsfähig, hat sich aber zur „sicheren Fortsetzung des Unternehmens“ für eine Sanierung und Restrukturierung im Insolvenzverfahren entschieden. Betroffen ist der bis 2024 laufende Mittelstandsbond mit Kupon von 7 Prozent (< DE000A2GSWY7>).
„Keine Käufer für risikoreiche Neuemissionen“
Wie Oechser meldet, werden aktuell kaum neue Anleihen begeben. „Transaktionen werden abgesagt, gerade für Risikoreicheres sind derzeit einfach keine Käufer zu finden.“
Auch große Unternehmen müssen mittlerweile deutlich mehr Zinsen zahlen: Auf eine neue, bis 2028 laufende Anleihe zahlt BASF 3,125 Prozent (XS2491542374), wie Daniel berichtet. Mindestanlagesumme sind hier allerdings 100.000 Euro.
von: Anna-Maria Borse, 1. Juli 2022, © Deutsche Börse AG
Anna-Maria Borse ist Finanz- und Wirtschaftsredakteurin mit den Schwerpunkten Finanzmarkt/Börse und volkswirtschaftliche Themen.
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