Mit der bevorstehenden Zinswende der EZB steigen die Sorgen vor einer neuen Euro-Schuldenkrise. Ein Notprogramm soll Abhilfe schaffen. Das kurzzeitige Aufatmen der Marktteilnehmer*innen danach endet mit der Zinserhöhung in der Schweiz.
17. Juni 2022 Frankfurt (Börse Frankfurt). Die überraschende Leitzinserhöhung der Schweizerischen Nationalbank SNB hat einen erneuten Kursrutsch an den Anleihenmärkten ausgelöst. Die SNB will mit der unerwarteten Erhöhung um 50 Basispunkte der Inflation entgegenwirken. Auch die Bank of England hatte die Leitzinsen angezogen: Sie stiegen um 25 Basispunkte. Das war die fünfte Erhöhung in Folge.
Zeitweise war die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen am Donnerstag auf 1,92 Prozent gestiegen. Das war der höchste Stand seit 2014. Zuvor hatte die EZB in einer Krisensitzung Hilfen für die verschuldeten Peripherie-Staaten Europas beschlossen und kurzzeitig zumindest für eine leichte Entspannung gesorgt.
Die Zinserhöhung der FED um 75 Basispunkte, der größte Sprung seit 1994, war am Mittwoch zunächst freundlich an den Kapitalmärkten aufgenommen worden. Mit den weiteren Zinsentscheidungen in Europa drehte die Stimmung allerdings im Wochenverlauf.
Um den Rendite-Zuwächsen der Peripherie-Staaten Europas entgegenzuwirken, will die EZB nun Geld aus dem Pandemie-Notprogramm PEPP einsetzen, um vorrangig italienische Staatsanleihen zu kaufen. Das hatten die Währungshüter während einer Krisensitzung am Mittwoch beschlossen. „Damit konnte die Notenbank zunächst den Renditeanstieg eindämmen“, kommentiert Arthur Brunner von der ICF Bank.
Seit Sommer 2021 haben sich die Renditen für zehnjährige italienische Staatsanleihen von 0,5 auf mehr als 4 Prozent verachtfacht. Damit muss Italien deutlich mehr für neue Kredite bezahlen als bisher.
Hohe Volatilität Ausdruck großer Nervosität
Der Experte hat in seiner langjährigen Laufbahn noch keine solch hohe Volatilität an den Bond-Märkten erlebt. Der LECPOAS-Index, der die Renditeabstände von Unternehmensanleihen mit Investmentgrade und Swaps in Europa abbildet, ist von 1,61 zu Wochenbeginn auf 1,95 gestiegen. „Hier zeigt sich, wie groß die Nervosität ist. Es bleibt abzuwarten, ob der EZB der Spagat aus Inflationsbekämpfung und Stützung der Peripheriestaaten gelingt“, fasst Brunner die Lage zusammen. Wenn andere Notenbanken in Europa die Zinsen anheben, setze das die EZB zusätzlich unter Druck, erklärt Brunner.
Brunner
Vor dem Wochenende wurde am Markt kolportiert, dass EZB-Chefin Christine Lagarde den Finanzminister*innen der Eurozone Obergrenzen für die Renditeabstände zwischen den Staatsanleihen europäischer Länder vorgeschlagen habe. „Hier ist die Frage, inwieweit ein solcher Schritt mit dem Mandat der EZB vereinbar ist“, stellt Brunner fest. Die Nachricht ließ die Renditen italienischer Staatspapiere jedoch unverzüglich sinken: Aktuell rentieren zehnjährige Papiere mit 3,7 Prozent. Zum Vergleich: Die zehnjährige Bund-Rendite beträgt 1,757 Prozent. Der Bund Future fällt auf 142,72 Punkte.
Sorge vor weiterem Vorgehen der SNB
„Die Zinsen in Europa werden weiter nicht auf einem Niveau sein, das die Inflation ausgleicht, auch wenn die EZB die Zinsen nun zügig erhöht“, kommentiert Gregor Daniel von der Walter Ludwig Wertpapierhandelsbank. Der Sprung der Bundesanleihe zeige auch, dass die Investor*innen Sorge haben, die Schweiz könnte ihre ausländischen Staatsanleihen verkaufen, um bei Bedarf am Devisenmarkt zu intervenieren.
Daniel registriere aber erste Neuanlagen. So würden Anleger*innen mäßige Kursniveaus zum Einstieg nutzen. So werde eine thyssenkrupp-Anleihe (<DE000A2TEDB8>) mit 2,875 Prozent Kupon, die bis 2024 läuft, gekauft. Auch ein Schuldtitel der FCR Immobilien AG, der mit einem Kupon von 5,25 Prozent ausgestattet ist bei einer Laufzeit bis 2024 werde gekauft. Das Papier notiert bei 98,50, noch im März lag es bei 95 Prozent.
Unter den Neuemissionen der Woche ist eine PNE-Anleihe im Volumen von 55 Millionen Euro. Sie läuft über fünf Jahre mit 5,00 Prozent Kupon, berichtet Daniel. „Der Handel soll am Montag beginnen.“
Brunner sieht im Zuge der Marktturbulenzen auch Unternehmensanleihen unter Druck, etwa ein Hornbach-Papier, das noch bis 2026 läuft und mit jährlicher Zinszahlung von 3,25 Prozent ausgestattet ist. Von 99 Prozent Anfang Juni fällt es auf 93,38 Prozent. Privatanleger*innen würden aber auch die Marktschwäche selektiv zum Einstieg nutzen: So werde eine Rumänien-Anleihe (XS1968706876) auch von Privatanleger*innen gekauft als Alternative gegen die Inflation.
von: Antje Erhard 17. Juni 2022, © Deutsche Börse AG
Antje Erhard ist Journalistin und Moderatorin mit den Schwerpunkten Börse, Wirtschaft und Finanzen.
Feedback und Fragen an redaktion@deutsche-boerse.com.
Erhard