ETF-Gesellschaften sind heute oft Großaktionäre. Doch vertreten sie auch die Wünsche ihrer Kunden? Dieser Frage geht das ETF-Magazin nach.
März 2022. MÜNCHEN (ETF Magazin). Umweltverschmutzung, Steuervermeidung, unlautere Steuermodelle – nicht jede Aktiengesellschaft arbeitet so, wie es sich verantwortungsbewusste Investoren wünschen. Aktionären kommt deshalb über ihr Stimmrecht eine wichtige Funktion zu. Auf der Hauptversammlung ihrer AG können sie nicht nur Dividenden abnicken, sondern auch über Strategien abstimmen und notfalls sogar Vorstand und Aufsichtsrat die Entlastung verweigern. Jedoch: Wer sich über einen Fonds an einer Aktiengesellschaft beteiligt, tritt sein Stimmrecht an die Fondsgesellschaft ab, gleichgültig, ob es sich um einen aktiv verwalteten Fonds oder um einen passiven Indexfonds handelt. Das Problem: Vor allem die ganz großen ETF-Anbieter haben heute eine unglaubliche Abstimmungsmacht, denn sie verwalten Billionen.
Allein die „Großen Drei“ der Branche – Vanguard, Blackrock und State Street – kontrollieren laut Morningstar 43 Prozent des Aktienvermögens der US-Fondsbranche. In Europa geht die Entwicklung in die gleiche Richtung, bei einigen Dax-Werten kommen Häuser wie Blackrock schon mal auf Anteile von mehr als 10 Prozent. Nicht allen gefällt das. Die Autorin und Finanzexpertin Heike Buchter bezeichnete deshalb Blackrock schon 2015 in ihrem Bestseller über den US-Konzern als „heimliche Weltmacht“. Aktionärsvertreter sind ebenfalls nicht allzu gut auf die großen ETF-Gesellschaften zu sprechen. Ihre Sorge: Durch ETFs verkümmere die Aktionärsdemokratie. „Passives Geld ist dummes Geld“, warnt Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz DSW. Denn investiert werde völlig unabhängig davon, wie ein Unternehmen geführt werde. „Einziges Kriterium für ein Investment ist die Zugehörigkeit zum zugrunde liegenden Index.“ Andere Kritiker bemängeln dagegen, dass sich die großen ETF-Gesellschaften zu stark in das Geschäft der Unternehmen
einmischen.
Im Fall von ETFs fallen den Fondsgesellschaften die Stimmrechte allerdings nur zu, wenn es sich um einen physisch abbildenden ETF handelt. Synthetische ETFs, die ihren Index mithilfe von Swaps replizieren, haben dagegen kein Stimmrecht. Auch für die vom ETF verliehenen Wertpapiere, nicht unüblich im ETF-Geschäft, gibt es kein Abstimmungsrecht. Bei physisch optimierten ETFs, die nur eine repräsentative Auswahl der Indexkomponenten im Portfolio halten, gelten die Stimmrechte natürlich auch nur für diese Auswahl.
Während es bei der Stimmrechtsausübung der Fondsgesellschaften früher vor allem um Fragen der Unternehmensführung ging, dreht sich heute vieles um Nachhaltigkeit. „Wir sind überzeugt, dass Governance und Ausübung der Stimmrechte das Schlüsselelement für die Erschließung der Potenziale und die Beherrschung von ESG-Risiken sind“, erklärt etwa die DWS, der Vermögensverwalter der Deutschen Bank und Emittent der Xtrackers-ETFs. Das „Investment Stewardship“, also das Engagement gegenüber Unternehmen inklusive Abstimmungsverhalten, ist mittlerweile gewichtiges Marketingargument aller Fondsgesellschaften. „Die Intensität, mit der das ESG-Stewardship verfolgt wird, entwickelt sich mehr und mehr zu einem Differenzierungsmerkmal der
Asset-Manager“, sagt Said Yakhloufi vom Fondsanalysehaus Scope Analysis.
Aktionärsvertretung durch Spezialisten
Den Fondsgesellschaften sind Stimmrechte offensichtlich wichtig. „Wir nehmen die Stimmrechte für alle Aktien wahr – unabhängig davon, ob die Aktien über aktiv oder passiv gemanagte Fonds gehalten werden“, erklärt etwa Thomas Wiedenmann, ETF-Deutschland-Chef der französischen Fondsgesellschaft Amundi. Allerdings gebe es einen Unterschied zwischen aktiv und passiv: Dem ETF fehlt ein wichtiges Drohmittel. „Während ein aktiver Manager als Ultima Ratio aus Titeln aussteigen kann, ist dies bei ETFs nicht möglich“, erklärt Wiedenmann. Ähnlich äußerst sich auch Sophia Wurm von State Street Global Advisors (SSGA): „Wir nehmen die Aktionärsvertretung sehr ernst“, betont sie. „Man muss sich allerdings der Rahmenbedingungen bewusst sein. Wir können nicht einzelne Aktien verkaufen.“ State Street sieht das aber als Chance, etwas zu verändern. „Wir müssen in den Dialog treten“, sagt Wurm.
Die großen Fondsgesellschaften haben mittlerweile spezialisierte Einheiten aufgebaut, die sich um die Stimmrechtsausübung kümmern, sogenannte Stewardship-Teams. Gerade mittlere oder kleinere Emittenten geben die Stimmrechtsausübung wegen des hohen Aufwands gern an auf die Aktionärsvertretung spezialisierte Gesellschaften ab. Beispielsweise an die US-Gesellschaft Glass Lewis oder an den International Shareholder Service (ISS), der seit Ende 2020 zur Deutschen Börse gehört.
Die Aufgabe dieser Spezialisten: die Tagesordnungen der Hauptversammlungen durchkämmen und ihren Auftraggebern Vorschläge zum Stimmverhalten unterbreiten. Blackrock (iShares) hat nach eigener Aussage das weltweit größte Stewardship-Team. Blackrock Investment Stewardship (BIS) mit über 50 Mitarbeitern an acht Standorten kümmert sich um die Ausübung der Stimmrechte an 85 Abstimmungsmärkten. Wie und zu welchen Themen abgestimmt wird, veröffentlicht der Fondsriese im alljährlich erscheinenden detaillierten Ergebnisbericht, der online eingesehen werden kann. Im aktuellen Bericht ist etwa zu lesen, dass BIS zwischen Juli 2020 und Juni 2021 zu über 165 000 Management- und Aktionärsvorschlägen in 71 Ländern abgestimmt hat. In 42 Prozent der Fälle sei gegen das Management votiert worden, oft aus ESG-Gründen – zum Beispiel bei einem US-Lebensmittelproduzenten, bei dem es aufgrund der Arbeitsbedingungen zu einem Corona-Ausbruch gekommen war.
Blackrock-Konkurrent Vanguard setzt ebenfalls auf ein etabliertes und „sehr aktives“ Stewardship-Programm und stimmt jährlich über rund 170 000 Beschlüsse ab. „Als sehr langfristig orientierter Investor erwarten wir von Unternehmen, dass sie auch ESG-Risiken identifizieren, offenlegen und effektiv überwachen“, erläutert Lisa Harlow, Head of Investment Stewardship Europe bei Vanguard. Auch der Dritte im Trio der US-Riesen, State Street, hat natürlich ein Stewardship-Team. 2020 votierte SSGA zu gut 181 000 Management- und Aktionärsvorschlägen bei 1721 Unternehmen – was 78 Prozent der verwalteten Aktien ausmachte. Das Unternehmen hat zudem ein spezielles ESG-Team eingerichtet. Das beschäftigt sich in erster Linie damit, welche Ziele State Street erreichen will und wie die Stimmrechte eingesetzt werden. „Das Thema ESG wird immer wichtiger, da tragen wir als State Street auch immer mehr Verantwortung“, bemerkt Sophia Wurm. Ein Schwerpunkt ist Diversität im Unternehmen und in der Unternehmensführung sowie die Gleichstellung von Frauen.
Nicht nur ESG
Amundi hat 2020 an knapp 50 000 Abstimmungen teilgenommen, Schwerpunkte der Abstimmungspolitik waren der Klimawandel und der Abbau der sozialen Ungleichheit. „Wir fordern zum Beispiel, dass Managerboni an das Einhalten von ESG-Zielen geknüpft werden“, erklärt Wiedenmann. Außerdem habe Amundi bei 21 Prozent der Abstimmungen zu Dividendenzahlungen gegen das Management gestimmt – vor allem, weil diese Unternehmen gleichzeitig staatliche Hilfen beansprucht hätten. „Da können große Fondsgesellschaften ihren Einfluss durchaus geltend machen.“
Die DWS mit der Tochter Xtrackers hat 2020 auf 2355 Hauptversammlungen abgestimmt. „Das entspricht 86 Prozent des investierten Kapitals in Aktienfonds und -ETFs“, erklärt die Fondsgesellschaft. Die DWS habe bei 24 Prozent der Abstimmungen gegen das Management gestimmt oder sich der Stimme enthalten. Dabei sei es nicht nur um ESG-Themen, sondern auch um die Besetzung des Aufsichtsrats gegangen sowie um Vergütungsfragen.
Die DekaBank, das Wertpapierhaus der Sparkassen-Finanzgruppe, nimmt an rund 300 Hauptversammlungen von Aktienunternehmen im Jahr teil. „Wenn unserer Meinung nach Verbesserung bezüglich Zukunftsfestigkeit und Nachhaltigkeit besteht, können durch die Hauptversammlung unsere Punkte dem gesamten Vorstand und Aufsichtsrat und der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das löst Handlungsdruck aus“, erklärt Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei Deka Investment.
Was heißt das alles nun für Anleger? Letztlich geht es darum, welcher Fondsgesellschaft die Anlegerin oder der Anleger vertraut. Zur Beurteilung der Fondsgesellschaft kann es hilfreich sein, die Einschätzung unabhängiger Experten wie ShareAction zu berücksichtigen, die das Abstimmungsverhalten vieler Fondsmanager untersuchen. Der aktuelle ShareAction-Bericht analysiert zum Beispiel die Abstimmungsbilanz von 65 Asset-Managern zu klima- oder gesellschaftsrelevanten Tagesordnungspunkten. Amundi wird in dem Bericht beispielsweise als einer der leistungsstärksten Vermögensverwalter in Bezug auf Abstimmungen zum Klimawandel, klima-bezogenes Lobbying und soziale Themen gewürdigt.
ETF-Anbieter legen sich also tatsächlich ins Zeug, was ihre Stimmrechte aus Aktien-ETFs angeht – auch und zunehmend mit Blick auf ESG-Themen. „Die Branche ist sich durchaus bewusst, dass sie gegensteuern muss“, resümiert DSW-Anlegerschützer Tüngler. Das sei allerdings nur ein Anfang. „ETF-Anbieter müssen mehr in die Analyse von Unternehmen investieren“, fordert Tüngler.
Blackrock versucht unterdessen einen neuen Weg. „Wegen des wachsenden Interesses von Aktionären an der Corporate Governance von börsennotierten Unternehmen haben wir damit begonnen, mithilfe von Technologie mehr Kunden die Möglichkeit zu geben, unmittelbarer ihr eigenes Stimmrecht bei den Unternehmen auszuüben“, erklärt Blackrock-Chef Larry Fink in seinem diesjährigen Brief an die Vorstände der US-Aktiengesellschaften. Bislang werde die Abstimmungsmöglichkeit nur an ausgewählte institutionelle Investoren weitergegeben. Doch dabei soll es nicht bleiben. „Unser Ziel ist es, dass sich jeder Anleger an der Stimmrechtsausübung beteiligen kann – und das schließt Privatanleger mit ein“, versichert Fink.
von Anna-Maria Borse, März 2022, © ETF Magazin
Der Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe des ETF Magazins, dem Fachjournal für Profis und informierte Anleger*innen.
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