ESG, ESG Screened, ESG Leaders, SRI oder Paris-aligned – Nachhaltigkeits-ETFs kommen in vielen Varianten daher. Doch welcher Ansatz ist wann geeignet? Das ETF Magazin bietet einen Überblick.
Februar 2022. MÜNCHEN (ETF Magazin). Nachhaltigkeitsstrategien schießen wie Pilze aus dem Boden. Drei von vier in den vergangenen drei Monaten an der Deutschen Börse neu gelisteten ETFs fahren einen Nachhaltigkeitsansatz. Insgesamt bezeichnet sich inzwischen jeder vierte von den über 1.600 gelisteten ETFs als nachhaltig. Das ist kein rein deutsches Phänomen. Fast die Hälfte der Gelder, die in den ersten neun Monaten dieses Jahres neu in europäische Aktien-ETFs flossen, entfiel auf Nachhaltigkeits-ETFs, sowohl auf der Aktien- als auch auf der Rentenseite. Das berechnete gerade der französische ETF-Emittent Amundi. „Anleger switchen von traditionellen in ESG-ETFs“, erklärt Amundi-ETF-Experte Thomas Wiedenmann.
Doch sind diese ETFs wirklich alle nachhaltig oder steht „nachhaltig“ nur auf dem Etikett? Um Etikettenschwindel zu stoppen und Anlegern eine Orientierungshilfe zu geben, hat die EU im Frühling neue Richtlinien verordnet: Seit dem 10. März gilt die Sustainable Finance Disclosures Regulation (SFDR), die EU-Offenlegungsverordnung. Seitdem müssen ETF- und andere Fondsanbieter ihre Produkte in drei Kategorien einteilen: besonders nachhaltig, nachhaltig und nicht nachhaltig. Die grüne „Elite“ sind Artikel-9-Fonds („dunkelgrün“), also solche, die den strengsten Nachhaltigkeitsanforderungen genügen. Sie sollen eine nachhaltige Wirkung haben (Impact). Artikel-8-Fonds („hellgrün“) berücksichtigen systematisch und explizit ESG-Kriterien. Die übrigen (Artikel-6-Fonds) sind traditionelle Fonds, die nicht oder nur in geringem Umfang auf ESG-Kriterien schauen.
Nach Aussage der Fonds-Rating-Agentur Morningstar hatten sich Ende Juli rund 30 Prozent aller Fonds und ETFs unter Artikel 8 eingestuft. Knapp 4 Prozent bezeichneten sich nach Artikel 9 als dunkelgrün. Mittlerweile dürfte der Anteil der nachhaltigen Fonds sogar noch höher sein. Denn seit dem Start der Offenlegungsverordnung haben sich die Fondsgesellschaften ordentlich ins Zeug gelegt und Fonds hochgestuft beziehungsweise neue Fonds der Kategorien Artikel 8 und 9 aufgelegt.
„Von den 210 Fonds, die im zweiten Quartal aufgelegt wurden und für die wir die SFDR-Offenlegung überprüft haben, wurden 48 Prozent als Artikel 8 oder 9 eingestuft“, berichtet Hortense Bioy, Global Director of Sustainability Research bei Morningstar. Der Trend dürfte anhalten. „Zahlreiche Vertriebsgesellschaften und Fondskäufer aus ganz Europa haben zum Ausdruck gebracht, dass sie in Zukunft nur noch Fonds der Kategorien der Artikel 8 und 9 in Betracht ziehen werden“, so die Analystin.
Breites Spektrum
Eindeutig? Nicht wirklich. Artikel 8, 9 oder eben 6 – das klingt erst einmal ganz einfach und als Orientierung ideal. Doch leider ist die Klassifizierung nicht so eindeutig möglich: „Die Asset-Manager haben unterschiedliche Herangehensweisen – abhängig davon, wie sie die SFDR interpretieren“, lautet das Urteil von Morningstar acht Monate nach dem SFDR-Start. Die Folge sei ein breites Spektrum verschiedener Fonds, die nach Artikel 8 und 9 klassifiziert würden.
Letztendlich hätte somit die Offenlegungsverordnung sogar zu mehr Unsicherheit geführt, so das Fazit des Analysehauses. Gerade die Artikel-8-Kategorie – vom Regulierer als eine Art Sammelkategorie für eine breite Palette an Anlagelösungen gedacht – sei äußerst heterogen. Um Etikettenschwindel und bewusste Schönfärberei, im Branchenjargon „Greenwashing“ genannt, muss es sich dabei nicht einmal handeln: Fondsanbieter hoffen selbst auf mehr Klarstellungen. Vielerorts fehle es auch einfach an Daten und Kennziffern, berichten Insider.
Das Kernproblem: Fast jeder versteht etwas anderes darunter, was genau unter die Oberbegriffe ESG (Environmental, Social, Governance) oder SRI (Socially Responsible Investment) fällt. Bei ESG geht es um Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung. Doch an einheitlichen Kennzahlen, etwa zum CO2-Ausstoß, lässt sich wenig festmachen. Ähnlich sieht es mit SRI aus: Investieren nach sozialen Kriterien, da ist viel vorstellbar. Gehört die Berücksichtigung von Umweltaspekten auch dazu?
Von Ausschluss und Klassenbesten
Grundsätzlich gibt es mehrere Herangehensweisen, um Fonds nachhaltig zu gestalten. Diese Wege unterscheiden sich teilweise erheblich. Das Forum Nachhaltige Geldanlagen, der Fachverband für Nachhaltige Geldanlagen in den deutschsprachigen Ländern, unterscheidet dagegen folgende Ansätze:
Der deutsche Fondsverband BVI beschränkt sich auf sieben mögliche Ansätze:
ESG-„Engagement“.
Verwirrende Vielfalt. Mehrere Indexanbieter haben Tausende von ESG-Indizes entwickelt, die als Basis für ETFs dienen, darunter MSCI, Solactive, S&P, Dow Jones, FTSE-Russell, Stoxx und Bloomberg. Selbst die Europäische Union hat Klima-Benchmarks entwickelt, die bereits einigen ETFs als Basis dienen: die Climate Transition Benchmark, kurz CTB, und die Paris-aligned Benchmark, kurz PAB. Die CTB-Indizes zielen auf eine sofortige 30-prozentige Reduzierung des CO2-Ausstoßes. Die PAB-Indizes wollen sogar eine Halbierung der Emissionen und sie schließen Unternehmen aus, die in der Erdöl-, Kohle- und Erdgasförderung tätig sind.
Alle Indizes haben ihre Vor- und Nachteile. Doch Übersichtlichkeit sieht anders aus. Allein MSCI mit seinen mehr als 1500 ESG-Aktien- und ESG-Fixed-Income-Indizes verwendet mehrere Konzepte. So schließen beispielsweise die MSCI-ESG-Screened-Indizes nur Unternehmen aus bestimmten Geschäftsfeldern aus: Tabak, Waffen, Kraftwerkskohle und Ölsand sowie Unternehmen, die gegen den UN Global Compact verstoßen. Als Folge enthält der MSCI-World-ESG-Screened-Index nur 1478 Unternehmen – anstatt 1558 wie der klassische, nicht nachhaltige MSCI-World-Index. Die MSCI-ESG-Leaders-Indizes legen strengere Maßstäbe an. Sie schließen zunächst ebenfalls die genannten Branchen aus und beschränken sich anschließend auf die 50 Prozent Unternehmen mit dem höchsten ESG-Rating in ihrer Branche. Vom MSCI-World-Index bleiben so nur noch 722 Mitglieder übrig.
Noch strengere Kriterien haben die MSCI-SRI-Indizes: Sie kombinieren einen umfassenden Ausschluss mit dem Best-in-Class-Ansatz. Verzichtet wird auf Unternehmen aus den Bereichen Waffen, Alkohol, Tabak, Glücksspiel, Pornografie, gentechnisch veränderte Organismen, Kernenergie, Verstöße gegen UN Global Compact. Vom Rest kommen dann aus jedem Sektor nur noch die 25 Prozent der Unternehmen mit den besten ESG-Ratings in den Index. Das lässt das Universum der MSCI-World-Mitglieder auf 371 schrumpfen.
Hilfreiche Globen. Eine gewisse Orientierung über die verschiedenen Index- und ETF-Anbieter geben die Urteile von Fonds-Rating-Agenturen und Analysehäusern, die inzwischen Unternehmen, aber auch ETFs und andere Fonds nach ESG-Kriterien bewerten. So vergibt Morningstar „Carbon-Indikatoren“ in Form von Globen. Die Globen – es gibt bis zu fünf – zeigen an, wie gut die Portfolio-Unternehmen des Fonds ihre ESG-Risiken relativ zu den anderen Fonds in der globalen Fondskategorie steuern. Da gibt es einiges an Überschneidungen mit den Einteilungen nach SFDR: Drei Viertel der Artikel-9-Fonds haben ein Morningstar-Sustainability-Rating von vier oder fünf Globen. Bei den Artikel-8-Fonds sind es immerhin noch 56 Prozent.
Auch wenn vieles noch unausgereift und verwirrend wirkt, scheint also inzwischen ein wenig Licht in den ESG-Dschungel zu kommen. Um eine Beschäftigung mit der Thematik kommen Investoren dennoch nicht herum – wohl auch längerfristig. Denn auch in Zukunft bleibt es oft ein subjektives Urteil, was unter Nachhaltigkeit zu verstehen ist. Auf den Ausschluss von Streubomben und Kinderarbeit dürften sich alle noch leicht verständigen können, bei Atomenergie oder Gentechnik wird es schon schwieriger. Und dass ausgerechnet Coca-Cola und Pepsico zu den Top-10-Positionen im strengen MSCI-World-SRI-Index gehören, dürfte auch den einen oder anderen überraschen.
Greenwashing: Gefahr der Schönfärberei
Ist bei nachhaltigen Fonds wirklich drin, was draufsteht? Fonds-Insider befürchten, dass manche Fondsanbieter ihre Nachhaltigkeitsbemühungen nur vortäuschen. Es sei schließlich einfacher, das Unternehmen grün zu vermarkten, anstatt Geld in Nachhaltigkeitsprozesse und Research zu investieren. „Greenwashing“ heißt solches Tuning im Branchensprech. Selbst einige der größten Fondsanbieter waren in den vergangenen Monaten diesem Vorwurf ausgesetzt, beschuldigt vor allem von ehemaligen Mitarbeitern.
Auch die deutsche Finanzmarktaufsicht BaFin ist offensichtlich skeptisch und befürchtet Etikettenschwindel. Ihr neuer Richtlinienentwurf für nachhaltige Investmentvermögen soll Schönfärberei verhindern. Als nachhaltig vermarktete Publikumsfonds sollen demnach künftig einen Anteil von mindestens 75 Prozent an nachhaltigen Anlagen vorweisen oder einen nachhaltigen Index abbilden. Die BaFin-Regelung würde über das hinausgehen, was die EU-Offenlegungsverordnung verlangt. Dort gibt es lediglich Transparenzpflichten.
Der BaFin-Entwurf stößt auf Kritik: Der deutsche Branchenverband BVI warnt, der Fondsstandort Deutschland könne Schaden nehmen. Die Regelung erfasse schließlich nur in Deutschland aufgelegte Fondsprodukte. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) begrüßt dagegen das Vorgehen der BaFin. Die Bürger gingen davon aus, dass als nachhaltig beworbene Anlagen auch einen konkreten Einfluss auf Treibhausgasemissionen, Sozialstandards u. Ä. hätten. Aktuell seien die Auswirkungen von nachhaltigen Anlagen jedoch mangels klarerer Standards und Definitionen häufig unklar, meint der vzbv.
Dieser Artikel stammt aus dem aktuellen ETF Magazin. Das ETF Magazin erscheint quartalsweise in Zusammenarbeit mit Focus Money und richtet sich an Berater, Vermögensverwalter und Portfoliomanager, ist aber sicher auch für informierte Anleger interessant.
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