Anleihen hat der Zinsanstieg in diesem Jahr eine desaströse Entwicklung beschert. Doch es gibt Möglichkeiten, die weiterhin interessante Renditen bieten, weiß das ETF Magazin.
16. November 2022. MÜNCHEN (ETF Magazin). Dieses Jahr ist für Anleger kein Spaziergang. Nicht nur die Aktienmärkte sind im roten Bereich, auch Anleihen haben kräftig Federn lassen müssen. Wegen der Inflation erhöht die US-Notenbank die Leitzinsen deutlich, auch die EZB hat erste Schritte unternommen. Mit weiteren Erhöhungen wird gerechnet. Die Niedrigzinsära ist wohl Vergangenheit.
Aus Furcht vor steigenden Renditen nahmen Anleger im ersten Halbjahr Reißaus aus Anleihen: 84 Milliarden Euro Nettoabflüsse aus aktiven und passiven Rentenfonds. Das war das schlechteste Halbjahr aller Zeiten, berichtet die Fonds-Rating-Agentur Morningstar. Und noch immer stellt sich die Frage: Besser raus aus Anleihen? Die Antwort muss lauten: Nicht unbedingt, denn es gibt Anleihen-ETFs, die auch im aktuellen Umfeld Ertrag versprechen. Allerdings: Diese ETFs sind nichts für Menschen, die zum ersten Mal Geld anlegen oder die ein risikoloses Investment suchen. Erfahrene Anleger, die auch zwischenzeitliche Schwankungen vertragen können, dürften allerdings auf ihre Kosten kommen.
Floating Rate Notes
Nicht bei allen Unternehmensanleihen ist der Zins fixiert. Bei Floating Rate Notes verändert sich der Kupon parallel mit den Leitzinsen. Das gefällt Anlegern: Viele Floater-Fonds haben sich in den vergangenen Monaten besser entwickelt als konventionelle Anleihen-ETFs. Besonders hoch waren die Gewinne für europäische Anleger bei US-Floatern – vor allem aufgrund des Anstiegs der US-Währung. So kam der Amundi-Floating-Rate-USD-Corporate-ESG-ETF seit Jahresanfang auf ein Plus von satten zehn Prozent. Bereits im Dezember 2021 hatte das ETF Magazin auf die guten Perspektiven dieses ETF hingewiesen.
Doch auch in der nächsten Zeit dürften diese ETFs interessant sein, wenngleich Risiken bleiben: „Der Ausblick für Floating Rate Notes hängt an der Verfassung der US-Wirtschaft. Verschlechtern sich die wirtschaftlichen Bedingungen, ginge das vermutlich mit einem Anstieg der Kreditausfälle einher, was der Entwicklung dieser Fonds schaden dürfte“, warnt Morningstar-Analystin Kathreen Lynch.
Immerhin: Der Amundi-ETF investiert nur in Investment-Grade-Anleihen, die zusätzlich auch noch ESG-Kriterien genügen müssen. Ausgeschlossen sind also unter anderem Unternehmen, die in den Bereichen Waffen, Glücksspiel, Tabak oder Kohle tätig sind. Da nur auf US-Dollar lautende Floating Rate Notes im ETF enthalten sind, könnten Anleger auch von einem weiter steigenden US-Dollar profitieren.
US-Staatsanleihen
Was auf den ersten Blick widersinnig erscheint: Auch langlaufende US-Staatsanleihen könnten jetzt wieder lohnen. Zwar steigen die Renditen der US Treasury Notes seit Sommer 2020, was Investoren ordentliche Kursverluste bescherte. Seit Mitte Juni ist aber eine Gegenbewegung erkennbar. Seitdem sank die Rendite der zehnjähriger US-Staatsanleihen von 3,5 Prozent auf 2,8 Prozent. Das bedeutete rund vier Prozent Kursgewinn. Diese Bewegung könnte sich durchaus fortsetzen.
„Anleiheninvestoren in den USA erwarten offenbar, dass die Fed die Zinsen nicht mehr viel weiter anheben muss, um die Wirtschaft abzukühlen und die Inflation zu verringern“, erklärt Ed Yardeni, Chef von Yardeni Research. Außerdem suchten inzwischen wieder immer mehr ausländische Investoren den sicheren Hafen der US-Anleihen „in a world that’s gone mad“. Yardeni hat noch ein weiteres Argument parat: Seinen Analysen zufolge korreliert deren Rendite stark mit dem Preisverhältnis Kupfer/Gold (s. Grafik rechts). „Das Preisverhältnis signalisiert, dass die Rendite bei rund zwei Prozent liegen sollte“, sagt Yardeni. Ein Rückgang auf dieses Niveau würde weitere Kursgewinne bedeuten – und es könnten Währungsgewinne dazukommen, sollte der US-Dollar weiter aufwerten.
Chinesische Staatsanleihen
Nicht überall auf der Welt erhöhen die Notenbanken die Zinsen. Der chinesische Leitzins („Loan Prime Rate“) ist schon gesunken und könnte weiter sinken. Denn das Land kämpft gegen die Folgen der rigiden Corona-Politik – und fürchtet auch um die Auswirkungen der kräftigen Leitzinserhöhungen in den USA. „In China ist Duration jetzt eine Chance, kein Risiko“, erklärt J.P.-Morgan-Stratege Tilmann Galler. Investments in chinesische Staatsanleihen könnten nicht nur aufgrund ihrer attraktiven Rendite lohnen, sondern auch wegen der Aussicht auf Kursgewinne. Auch die enorme Größe des Marktes, die höheren Kupons bei ähnlichem Rating, der stabile Wechselkurs sowie das Diversifikationspoten-zial sprechen für Chinas Staatsanleihen.
Mit ETFs für chinesische Staatsanleihen lassen sich solche Erträge bequem einfahren. An der Börse Frankfurt sind mittlerweile sieben ETFs mit chinesischen Staatsanleihen gelistet, meist in der Fondswährung US-Dollar, aber auch in Euro. Beispiele sind der Goldman-Sachs-Access-China-Government-Bond-ETF in US-Dollar und der Xtrackers-Harvest--China-Government-Bond-ETF in Euro. Beide ETFs sind in diesem Jahr schon sehr gut gelaufen: Der Xtrackers kam bis Mitte August auf ein Plus von fast 7 Prozent. Der ETF enthält chinesische Staats- und Policy-Bank-Anleihen mit einer Laufzeit von ein bis zehn Jahren.
Emerging-Markets-Anleihen
Langfristig orientierte Investoren können jetzt auch wieder auf Lokalwährungsanleihen aus Schwellenländern setzen. In den vergangenen Jahren war mit diesen Lokalwährungsanleihen wenig zu verdienen, doch in diesem Jahr erwiesen sich die Papiere als robust. Wer jetzt mutig einsteigt, kann sich wahrscheinlich in ein paar Jahren auf die Schulter klopfen. „Wir sehen aktuell ein attraktives Einstiegsniveau für Long-Duration-Anlagen mit mittel- bis langfristigem Anlagehorizont“, urteilen die Analysten vom Cross-Asset-Research der Société -Générale. Die Zentralbanken der Schwellenländer hätten die Leitzinsen schon im letzten Jahr vorsorglich angehoben, vor allem in Brasilien, Chile und Mexiko. Jetzt seien die realen Renditen in mehreren Ländern wieder positiv.
Die finanzielle Verfassung und die Wachstumsperspektiven vieler Schwellenländer sind ebenfalls gut. Abgesehen von China, sind die Wachstumsprognosen für die Schwellenländer auch besser als für die Industriestaaten. Viele große Schwellenländer wie Indonesien oder Brasilien sind bedeutende Exporteure von Rohstoffen und profitieren deshalb von den hohen Rohstoffpreisen. Wer in ihre Anleihen investieren will, kann zum SPDR-Bloomberg-Emerging-Markets-Local-Bond-ETF greifen. Er enthält Staatsanleihen der Schwellenländer in deren jeweiliger Heimatwährung. Anleihen aus Indonesien, China, Malaysia, Südkorea und Brasilien sind aktuell im Portfolio am stärksten vertreten.
Coco-Bonds
Für erfahrene Anleger sind auch Coco-Bonds, also Contingent Convertible Bonds oder Pflichtwandelanleihen, weiter einen Blick wert. Deren Kurse können zwar stark schwanken, dafür locken sie mit hohen Renditen. Coco-Bonds, teilweise auch als AT1-Bonds bezeichnet, sind langlaufende, nachrangige Anleihen von Finanzinstituten mit meist festem Kupon, die jedoch bei einem bestimmten Ereignis automatisch in Eigenkapital umgewandelt werden. Das passiert zum Beispiel, wenn die Eigenkapitalquote der emittierenden Bank unter eine bestimmte Schwelle sinkt.
Diese Gefahr erscheint Experten allerdings heute nicht mehr so groß wie vor einigen Jahren. Die Bilanzen der europäischen Banken seien in den vergangenen Jahren deutlich solider geworden, berichtet Christian Bettinger, Leiter Fixed Income bei der Berenberg Bank. Problemkredite seien signifikant abgebaut worden. Darüber hinaus dürften Banken künftig von den höheren Zinsen und steileren Zinskurven profitieren. „Probleme wie das Platzen einer Immobilienblase oder hohe Rohstoffpreise würden die Kreditbücher zwar temporär belasten, die Banken aber nicht in ihrer Existenz bedrohen“, schätzt Bettinger.
Für ein diversifiziertes Investment in Contingent Convertibles bietet sich der Invesco-AT1-Capital-Bond-Euro-Hedged-ETF an. Der enthält auf US-Dollar lautende, von Banken der Industrieländer emittierte Coco-Bonds unterschiedlicher Laufzeiten, währungsgesichert in Euro. Top-Positionen im ETF-Portfolio sind derzeit Anleihen von Lloyds Banking Group, Nordea Bank, Banco Santander und Unicredit. Nach den Verlusten der vergangenen Monate könnte jetzt der richtige Einstiegszeitpunkt gekommen sein.
US-Kurzläufer
Es kann aber auch ganz simpel sein: Denn mit dem Zinsanstieg sind auch US-Tagesgeld und ultrakurzfristige US Treasury Bills wieder einen Blick wert – gerade für Anleger, die mit einem weiter steigenden US-Dollar
rechen. US-T-Bills bringen aktuell immerhin 2,3 Prozent Rendite. Steigt der Dollar weiter, käme noch ein schöner Währungseffekt dazu. Ins Portfolio holen können sich Anleger die kurzlaufenden Papiere etwa mit dem Lyxor Fed Funds US Dollar Cash oder dem SPDR Bloomberg 1–3 Month T-Bill.
Der Lyxor-ETF gibt den kurzfristigen Geldmarktreferenzzinssatz in den USA wieder, die Federal Funds Effective Rate. Der SPDR-ETF enthält öffentliche Anleihen des US-Schatzamts mit einer Restlaufzeit zwischen einem und drei Monaten. Wer zu Jahresanfang bei diesen ETFs eingestiegen ist, kann sich heute über mehr als zehn Prozent Gewinn freuen.
von Anna-Maria Borse, Oktober 2022, © ETF Magazin
Der Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe des ETF Magazins, dem Fachjournal für Profis und informierte Anleger*innen.
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