Jahrelang waren sie Booster für jedes Depot, jetzt ziehen Tech-Aktien die Performance tief nach unten. Doch es gibt auch Ausnahmen.
25. Mai 2022. Frankfurt (Börse Frankfurt). Es sind ungemütliche Zeiten für Tech-Anleger*innen: Fast 30 Prozent hat der Nasdaq 100 seit seinem Allzeithoch von 16.768 Punkten verloren. Einige Werte hat es noch viel härter getroffen: Die Netflix-Aktie (US64110L1061) notiert rund zwei Drittel unter ihrem Höchststand, beim Videokonferenzanbieter Zoom (US98980L1017) und der Fitnessfirma Peloton (US70614W1009) sieht es noch viel schlimmer aus.
Diese Woche erwischte es Snap (US83304A1060), den Anbieter der Foto-App Snapchat. „Die aktuellen Zahlen von Snap haben am Montag ein kleines Beben im nachbörslichen Handel ausgelöst“, berichtet Walter Vorhauser von Oddo BHF. Nach einer Umsatz- und Gewinnwarnung verlor die Aktie fast die Hälfte an Wert. Das Konjunkturumfeld habe sich weiter verschlechtert, erklärte der CEO, und zwar schneller als erwartet. Daher müsse nun gespart werden.
„Eindeutig im Bärenmarkt angekommen“
Auch die Big-Player Apple (US0378331005), Amazon (US0231351067), Microsoft (US5949181045), Alphabet (US02079K3059), Meta (US30303M1027) und Tesla (US88160R1014) haben kräftig Federn lassen müssen – mit Kursrücksetzern von teils 40 Prozent. Schon lange war vor Übertreibungen in der Branche gewarnt worden. Das Ausmaß der Korrektur hat allerdings so manchen überrascht. „Vor allem setzt Tech-Aktien die zunehmende verbale Härte der US-Notenbank zu“, erklärt Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank. Befürchtungen vor einer noch strafferen Zinspolitik träfen die Wachstumswerte gleich doppelt: Die Refinanzierung von Investitionen verteuere sich. Dazu würden künftige Firmengewinne mit höheren Zinsen abdiskontiert, was die Bewertung drücke.
„Wir sind eindeutig im Bärenmarkt angekommen“, bemerkt Mark Richter, Händler der Baader Bank. Für ihn sind die steigenden Leitzinsen ein klarer „Game Changer“. Große institutionelle Investoren hätten bereits begonnen, ihre Anlagen umzuschichten. Das habe Folgen für den Gesamtmarkt. „Wenn US-Staatsanleihen plötzlich wieder 3 Prozent bieten, warum soll ich dann eine Aktie mit Dividendenrendite von 3 Prozent kaufen?“. Auch Walter Vorhauser von Oddo Seydler sieht für Tech-Unternehmen derzeit eher schwarz: „Inflation, Zinserhöhungen, die wirtschaftlichen Probleme Chinas – das sind alles keine guten Voraussetzungen.“
Halver
Gegen den Trend: Booking und Electronic Arts
Doch es ist nicht alles schwarz: Vergleichsweise gut steht laut Richter in diesem Jahr die Online-Reise-Plattform Booking Holdings (US09857L1089) da, die unter anderem Booking.com betreibt. Die Aktie ist an der Börse Frankfurt seit Jahresanfang nur von 2.113 auf 1.913 Euro gefallen. „Dem Unternehmen kommt die Nach-Corona-Reiselust zugute“, stellt Richter fest. Außerdem sei Booking gut diversifiziert mit Angeboten für Hotels, Flüge sowie Mietwagen und könne die gestiegenen Kosten an die Kunden weitergeben. „Noch macht das Unternehmen Verluste, aber die Umsätze im ersten Quartal haben sich gegenüber dem Vorjahresquartal schon verdoppelt.“
Sogar auf ein kleines Plus gegenüber Jahresanfang kommt die Aktie des Computer- und Videospielanbieters Electronic Arts (US2855121099), bekannt vor allem für das beliebte FIFA-Spiel. „Electronic Arts hat ebenfalls Preissetzungsmacht, die Kunden kaufen die Spiele auch für höhere Preise“, sagt Richter. Außerdem profitiere Electronics Arts von Übernahmefanasien. „Die Branche ist im Wandel. Nachdem Microsoft im Januar überraschend die Übernahme von Activision angekündigt hat, wird über den Einstieg von Apple, Disney oder Oracle bei Electronic Arts spekuliert.“
Auch IBM und SolarEdge stabil
Ebenfalls im Kurs gestiegen ist die Aktie des US-Computerkonzerns IBM (US4592001014). „IBM ist der Dino unter den Tech-Werten und einer der ältesten Titel im Nasdaq“, bemerkt Richter. Auch IBM komme die sehr breite Palette zugute mit Angeboten in den Bereichen Hardware, Software, Robotics, Cloud Computing und Blockchain. „2020 hat der Konzern Nordcloud aus Finnland übernommen, jetzt sind erste Cashflows aus dem Geschäft zu beobachten.“ Außerdem zahle IBM eine Dividende, die Dividendenrendite liege aktuell bei 5 Prozent. „Als eins der wenigen Tech-Unternehmen hat IBM zudem die Prognosen nicht zurückgenommen.“
Einigermaßen stabil präsentiert sich auch die Aktie des israelischen Solarunternehmen SolarEdge Technologies (US83417M1045). „Die Aussichten für Solarunternehmen sind sehr gut, es wird sehr viel Geld in diese Branche fließen“, stellt Vorhauser fest. SolarEdge habe zudem gerade Patentrechtsstreitigkeiten mit Huawei beilegen können. „Die beiden Unternehmen einigten sich auf eine Kreuzlizenz, die Patente für die Produkte beider Unternehmen abdeckt. Davon profitieren beide.“ Auch wenn sich der erfahrene Händler derzeit oft an das Platzen der Dot.com-Blase Anfang der 2000er Jahre erinnert fühlt: „Für die Solarbranche sind die Aussichten besser.“
Richter
Digitalisierung, Cloud und 5G-Ausbau als bleibende Megathemen
Vorhauser geht davon aus, dass das es für die Branche insgesamt noch eine Weile so weiter gehen wird. „Auch wenn es kurze Zwischenerholungen geben kann: Wir haben die Tiefs noch nicht gesehen.“
Robert Halver weist allerdings darauf hin, dass die Kurs-Gewinn-Verhältnisse von weltweiten Tech-Aktien durch die Kursverluste mit aktuell 20 nur noch knapp über ihrem Zwanzigjahresdurchschnitt bei rund 19 liegen. „Die Tech-Blase ist kräftig entbläht.“ Man könne außerdem nicht alle Tech-Aktien über einen Kamm scheren. „Vor allem bei Stay-at-Home-Titeln wird kritisch hinterfragt, ob sich die während der Pandemie aufgekommenen Gewohnheiten nachhaltig durchsetzen, also Online-Arztbesuche und -Geschäftsmeetings oder die virtuelle Ausübung von Sport.“
Dagegen blieben Digitalisierung, Datenspeicherung in der Cloud, 5G-Ausbau und Automatisierung von Industrieprozessen nachhaltige Megathemen. „Diese dürften auch künftig verlässliche Geschäftsmodelle liefern, schon aus Gründen der ständigen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit von Industrieunternehmen weltweit.“ Trotz aktuellem Bärenmarkt verfügten viele Unternehmen weiterhin über stabile Cashflows aufgrund tiefer „Burggräben“: „In ihren Bereichen sind sie de facto Monopolisten, was ihnen entsprechende Preissetzungsmacht verleiht.“
„Burggraben“-Aktien sind Aktien von Unternehmen, deren Geschäftsmodell nicht einfach eingenommen werden kann, weil es – wie bei einer Burg – durch Burggräben beschützt ist. Star-Investor Warren Buffett hat den Begriff vor vielen Jahren für sich entdeckt und setzt oft (und erfolgreich) auf „Burggraben“-Aktien.
von: Anna-Maria Borse, 25. Mai 2022, © Deutsche Börse AG
Anna-Maria Borse ist Finanz- und Wirtschaftsredakteurin mit den Schwerpunkten Finanzmarkt/Börse und volkswirtschaftliche Themen.
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