Ein iNAV soll den aktuell fairen Wert eines ETF-Anteils abbilden, allerdings kann dieser in einigen Situationen erheblich vom Börsenpreis abweichen. Das ETF Magazin weiß, wie solche Differenzen entstehen und was sie für Investoren bedeuten.
15. Juni 2021. FRANKFURT (ETF Magazin). Bei einem klassischen, aktiv gemanagten Investmentfonds berechnet die Fondsgesellschaft das gesamte Fondsvermögen und den Nettoinventarwert (NAV) einmal täglich, in manchen Fällen auch nur einmal wöchentlich. Für den NAV wird das Fondsvermögen durch die Anzahl der umlaufenden Anteilscheine geteilt. Daraus ergibt sich der Wert eines einzelnen Fondsanteils. Auch für ETFs wird täglich nach Handelsschluss der NAV berechnet. Zusätzliche Orientierung bietet bei ETFs der indikative Nettoinventarwert (iNAV), der während des Handels fortlaufend ermittelt wird, meist einmal pro Minute. Für die Berechnung des iNav wird – analog zur NAV-Berechnung – das Fondsvermögen auf Basis der Kurse der Einzelpositionen im Portfolio ermittelt, die Barmittel dazuaddiert und die Summe durch die Anzahl der ETF-Anteile geteilt.
Die Veröffentlichung des iNAV ist für ETF-Anleger von Vorteil, denn sie ermöglicht einen objektiven Vergleich zwischen den an der Börse gehandelten Kursen des ETF und seinem fairen Preis. Mit Hilfe des iNAV können Anleger feststellen, wie weit die Geld-Brief-Limite vom Nettoinventarwert abweichen. Im Idealfall bewegt sich der iNAV innerhalb der Kursspanne. Dies funktioniert auch sehr gut bei ETFs, die Aktienindizes mit liquide gehandelten Bestandteilen der gleichen Zeitzone anbieten. Im großen ETF-Universum gibt es jedoch viele exotische Indizes, bei denen die Kursfeststellung der einzelnen Fondsbestandteile große Probleme bereiten kann, was sich direkt auf Berechnung des iNAV und die Preisstellung der Market-Maker auswirkt. Der mit der Berechnung beauftragte Dienstleister erhält täglich eine Liste der im ETF-Sondervermögen enthaltenen Positionen mit den gehaltenen Einzelinvestments, den Constituents und ihrer Gewichtung sowie dem Barbestand. Zusätzlich werden bei Bedarf noch Wechselkurse eingesetzt, wenn Fondswährung und Handelswährungen der Wertpapiere voneinander abweichen. Diese Listen werden auch veröffentlicht, sodass andere Market-Maker tätig werden können.
Hilfreiche Kennzahl. Außerdem wird eine primäre Preisquelle für die Berechnung des iNAV vereinbart. Bei einem Dax-ETF bieten sich die Xetra-Preise an. Für den Fall technischer Störungen in der Kursversorgung oder des Handels wird auch eine zweite oder dritte Preisquelle definiert, auf die im Fall einer fehlenden Information aus der primären Quelle zurückgegriffen wird. Teilweise werden bis zu fünf verschiedene Preisquellen für die Berechnung einer ETF-Position angelegt und mit Wenn-dann-Bedingungen verknüpft. Hinzu kommt noch eine Reihe von Entscheidungsparametern, die die Auswahl von letztem Preis, Geld-Brief-Quote oder Midpoint steuern. Ein Beispiel: Ist der letzte Preis einer Quelle älter als festgelegt, wird der Midpoint vom aktuellen Quote einer anderen Preisquelle eingesetzt.
Bilden ETFs Indizes mit vielen Werten physisch ab, die teilweise kaum gehandelt werden, können iNAVs und angebotene Geld-Brief-Quotes abweichen. Der iNAV errechnet sich aus dem physischen Portfolio. Authorised Participants handeln im Rahmen des Creation-Redemption-Prozesses, sie kaufen und verkaufen die Wertpapiere, tauschen sie beim Anbieter gegen Anteile und beziehen im Handel ihre Geld-Brief-Quotes auf für sie realisierbare Preise des Baskets.
Unterschiedliche Zeitzonen
Stammt der abgebildete Index aus einer anderen Zeitzone, zum Beispiel aus Japan, dann ist der Primärmarkt während der europäischen Handelszeit geschlossen. Dies gilt auch für australische Goldminenaktien oder südamerikanische Staatsanleihen. Häufig wird in solchen Fällen der Schlusskurs am Heimatmarkt zur iNAV-Berechnung herangezogen und während der gesamten Handelszeit statisch gelassen. Sollte es nach Handelsschluss in Japan zu einem Börsencrash kommen, ist dieser nicht im iNAV berücksichtigt.
Die Market-Maker lassen selbstverständlich den aktuellen Kursrückgang in ihre Preisstellung einfließen. Sie konstruieren sich eine Preisbasis aus Futures, dem OTC-Handel oder Aktienkursen europäischer Börsen, an denen japanische Aktien gehandelt werden, und versuchen, über Korrelationen eine möglichst realistische Idee zum „richtigen“ Kurs zu gewinnen. In solchen Fällen kann es zu sehr starken Abweichungen kommen.
Gut sichtbar ist die Zeitzonenanpassung am Nachmittag bei ETFs mit US-amerikanischen Aktien, wenn in den USA der offizielle Handel beginnt. Dann kommt es zu einem kleinen Sprung im iNAV und in den Quotes, weil beide nun die aktuellen Eröffnungskurse der US-amerikanischen Börsen als Basis haben.
Bei Anleihen-ETFs gibt es Wertpapiere, die selten gehandelt werden. Bei mittelständischen Anleihen kann es vorkommen, dass nur einmal im Monat ein Geschäft im Kassamarkt zustande kommt. Hier benutzt der iNAV meist den letzten Kurs. Sollten sich in der Zwischenzeit das allgemeine Zinsniveau oder der individuelle Credit-Spread verändert haben, fließt dies nicht in die iNAV-Berechnung mit ein, wird aber natürlich vom Market-Maker berücksichtigt.
Fehlende Kurse
Andere Beispiele sind geschlossene Börsenplätze bei gleichzeitig handelbaren ETFs, die an deren Indizes gekoppelt sind. In Ägypten war im Februar 2011 die Börse mehrere Wochen geschlossen, trotzdem waren ägyptische Wertpapiere in Afrika- und Ägypten-ETFs enthalten. Ebenfalls Einfluss hat die Dauer der Eröffnungsauktionen an Börsen wie Xetra oder Six Swiss Exchange. Bis nach Start der Auktion die Eröffnungspreise feststehen und der Handel läuft, können iNAVs der ETFs, deren Berechnung exakt zur Öffnungszeit beginnt, für einen Moment abweichen. Falls keine Preise vorhanden sind oder Kapitalmaßnahmen die Preise verändern, können theoretische Preise für den iNAV herangezogen werden. Bei Ausschüttungen stellt sich die Frage, ob ein Nettooder ein Bruttopreis zugrunde gelegt wird. Diese Punkte legen iNAV-Dienstleister und ETF-Anbieter fest. Es gibt je nach ETF und bis auf die Ebene der enthaltenen Wertpapiere Regeln zur iNAV-Berechnung wie Preisquellen, Kurstypen und Art der Berechnungen, sogenannte Price Patterns.
In unsicheren Phasen mit starken Kursschwankungen stellen Market-Maker wegen des Risikos Quotes mit breiteren Spannen, die allein schon deshalb vom iNAV stärker abweichen. Zusätzlich entfernt sich auch die Mitte des Quotes, der Midpoint, der in normalen Marktphasen in der Nähe des iNAV liegt, von diesem. Market-Maker antizipieren zum Beispiel in einem reinen Verkäufermarkt die kommenden niedrigeren Kurse.
Kosten und Risiken
Aufwände geben neben Risiken Anreize, Creation/Redemption abweichend vom iNAV auszuführen. Besonders bei illiquiden ETFs mit hauptsächlich außerbörslich gehandelten Bestandteilen kann der veröffentlichte Preis der iNAVPreisquelle von den für Creation/Redemption bzw. Kauf oder Verkauf der ETF-Anteile der Authorised Participants benötigten bilateralen Preisen abweichen. Auch beauftragte Authorised Participants haben keine Verpflichtung, Creation/Redemption für ETFs durchzuführen. Dies kann dazu führen, dass sie bei komplexeren ETFs oder in turbulenten Zeiten nur tätig werden, wenn sie mit einem Ab- oder Aufschlag gegenüber dem iNAV dafür bezahlt werden.
Ein Beispiel ist der Credit-Suisse-short-VIX-ETF (XIV), bei dem der Anbieter Credit Suisse den Authorised Participants die Auflage gemacht hat, sich bei der Credit Suisse gegen starke Schwankungen des Vix abzusichern. Diese Hedge-Kosten werden als zusätzliche Kosten an die Käufer der ETFs weitergegeben und haben in der Vergangenheit zu Abweichungen vom iNAV von bis zu fünf Prozent geführt.
Heftige Aufschläge
Angebot und Nachfrage im Handel mit den ETFs bestimmen an einer Börse den Preis. Dieser kann vor allem kurzfristig vom rechnerischen Preis stark abweichen. Ein Beispiel: In der aktuellen Bitcoin-Euphorie gibt es sehr wenige börsengehandelte Instrumente, mit denen ein Bitcoin-Investment möglich ist. Viele Amerikaner haben deshalb den BitcoinFonds Grayscale Bitcoin Trust als Vehikel genutzt und mit ihrer Nachfrage den Fondspreis im März in der Spitze auf über 36 Prozent Aufschlag auf dessen iNAV getrieben. Beim schnellen Abverkauf danach fiel der Kurs des Fonds so heftig, dass sich ein Abschlag von elf Prozent auf den iNAV ergab.
In solchen Fällen lassen die Market-Maker ihre Absicherungskosten in ihre Quotes einfließen. Dies wird nicht nur an einer Abweichung vom iNAV, sondern auch an der Breite der Geld-Brief-Spanne sichtbar. Weitere Herausforderungen der Preisfindung liegen bei exotischen Währungspaaren, bestimmten Rohstoff-Futures und gehandelten Forwards.
Probleme mit der Berechnungsdatei
Die Basis der Berechnungen ist die jeweils aktuelle Datei mit den enthaltenen Wertpapieren und ihre Gewichtung. Wird diese Datei vom ETF-Anbieter dem iNAV-Berechner nicht oder fehlerhaft geliefert, kann die Berechnung des iNAV nur auf einer älteren Datei basieren, die möglicherweise vom aktuellen Portfolio abweicht.
Fazit
Die Toleranzbreite bei einer Abweichung des iNAV vom Geld-Brief-Quote hängt von der Liquidität des ETF und der enthaltenen Wertpapiere respektive von der Qualität der verwendeten Preise ab. Außerdem ist entscheidend, ob es sich um eine normale Marktphase oder um eine außergewöhnliche Marktsituation handelt, wie Eingriffe von Notenbanken und Regierungen, Restriktionen, Liquiditätsengpässe oder Marktmanipulationen.
Bildet ein ETF einen liquiden Blue-Chip-Index in der europäischen Zeitzone ab, sollte ein iNAVWert außerhalb der Geld-Brief-Spanne in normalen Marktphasen nicht vorkommen. Hat der ETF z.B. illiquide Unternehmensanleihen einer anderen Zeitzone im Basket und ist der Markt zusätzlich angespannt, so sind signifikante Abweichungen des iNAV vom Quote durchaus tolerierbar
Wenn potenzielle Käufer oder Verkäufer eine größere Abweichung zwischen iNAV und den An- und Verkaufspreisen der Market-Maker feststellen, lohnt es sich, nach dem Grund zu fragen. Meistens liegt es an einer realistischeren Einschätzung der Market-Maker inklusive ihres Absicherungspuffers. Manchmal kann es aber auch eine Fehlbewertung durch eine Verzerrung von Angebot und Nachfrage sein. Man sollte nicht nur auf die Breite des Quotes, sondern auch auf eine Abweichung der Mitte des Quotes zum iNAV schauen.
von Edda Vogt und Stefan Toetzke
© Juni 2021, ETF Magazin
Dieser Artikel stammt aus dem aktuellen ETF Magazin. Das ETF Magazin erscheint quartalsweise in Zusammenarbeit mit Focus Money und richtet sich an Berater, Vermögensverwalter und Portfoliomanager, ist aber sicher auch für informierte Anleger interessant.
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