Anlegende sind fixiert auf Ein-Produkt-Lösungen – besonders ETFs auf den MSCI World haben es vielen angetan. Aber auch bei "Ersatz-MSCI-World-ETFs" schlagen sie in dieselbe Kerbe. Die Jagd auf den Super-ETF nimmt absurde Züge an, findet Ali Masarwah, Analyst und Geschäftsführer des Finanzdienstleisters envestor.
26. August 2024. FRANKFURT (envestor). Gleich zu Beginn das Bekenntnis eines Ratlosen: Ich werde nie verstehen, warum so viele dem Glauben unterliegen, dass ein einziges Produkt die perfekte Lösung für ein ganzes, hoffentlich sehr langes Anlegerleben ist. Besonders deutlich kommt diese Fixierung bei ETFs auf den MSCI World zum Tragen. Indexfonds, die diesen Aktien-Weltindex abbilden, sind in den vergangenen zehn Jahren die Stars der Manege geworden. Überhört habe ich bei Bekannten die Frage "Machst du auch einen MSCI World-ETF?" statt "investierst du?". Manchmal gewinne ich den Eindruck, dass MSCI World-ETFs zu einem Gattungsbegriff fürs Investieren geworden sind – etwa wie "Tempo" für Taschentücher oder "Uhu" als Synonym für Klebstoff oder "Nutella" als generischer Begriff für Schoko-Creme.
Auf gewisse Weise ist das verständlich. Der Aufstieg von MSCI World-ETFs fällt in die Zeit, in der Neobanken für Anlegende günstige Depots und Sparplanangebote aufgesetzt haben. Seit 2009 hatte der MSCI World-Index zugleich einen fantastischen Lauf. Weil der Index die liquidesten und größten Unternehmen der Welt unter ein Dach bringt, hat er die "Amerikanische Tech-Dekade" von Apple, Google, Microsoft, Amazon und Co. perfekt eingefangen. Weil der US-amerikanische Aktienmarkt der größte der Welt ist, war er schon vor 15 Jahren der größte Block in MSCI World ETFs. Und weil die großen US-Techplattformen seitdem einen Riesenlauf hatten, nahmen MSCI World-ETFs diese Hausse vollumfänglich "mit".
Und weil die anderen Eigenschaften des MSCI World auch perfekte Catch-Phrasen gaben (1.600 Aktien unter einem Dach, Aktien aus 23 Industrieländern zusammengefügt usw.) haben Anlegende ab 2014 nicht nur ETFs mit einer herausragenden Performance-Bilanz vorgefunden, sondern auch vermeintlich gute Argumente gehabt, dass MSCI World ETFs auch künftig ein perfektes Investmentziel seien. Die "Pantoffelportfolios" der Stiftung Warentest oder die ständigen Oden der Verbraucherplattform Finanztip auf MSCI World-ETFs liefern Zeugnis von dem Hype um den MSCI World ab.
Die scheinbar unaufhaltsame Hausse der US-Mega-Techs hatte aber Folgen: Inzwischen machen die USA über 70 Prozent des Gewichts von MSCI World-ETFs aus. Europa oder Japan spielen in den ETFs eine Mini-Rolle, Schwellenländer und kleine Unternehmen sind nicht vertreten. Mit 25 Prozent sind Tech-Aktien der größte Block. Auch wenn MSCI World ETFs 1.600 Einzelaktien enthalten und in 23 Länder investieren, sieht eine gute Diversifizierung anders aus.
Ist die Fixierung von Anlegenden nun gut, harmlos, ungesund oder sogar schädlich? Hier gehen die Meinungen stark auseinander. Kritiker - meistens Fondsmanager, die Fonds aktiv verwalten - beschwören gerne das Beispiel Japans herauf. 1990 machten Japan-Aktien rund 40 Prozent des Gewichts im MSCI World aus. Der nachfolgende Crash japanischer Aktien hat den MSCI World massiv unter Druck gesetzt. Ein Crash bei US-Tech-Aktien hätte ähnliche Folgen. Dass dies kein luftiges Szenario ist, zeigt das Jahr 2022, als US-Tech-Riesen hart aufschlugen. Weil die Kurse 2023 und 2024 wieder nach oben schnellten, dürften die meisten Betroffenen das verdrängt haben. Crashs können aber durchaus 2, 3 Jahre oder länger dauern. Dann wäre aus einer Kerbe im Portfolio eine Kuhle geworden.
Doch auch wer in der hohen USA-Gewichtung kein Problem sieht, sollte wissen, dass die Fixierung auf MSCI World ETFs überflüssig ist und unnötige Risiken beinhaltet. (Ob diese manifest werden, ist eine andere Frage.). Die Fixierung auf Ein-Produkt-Lösungen ist deshalb überflüssig, weil in den vergangenen Jahren eine wunderbare Demokratisierung der Kapitalanlage stattgefunden hat. Günstige Fondsplattformen und Neobroker bieten heute Depots zum Nulltarif an, Orders kosten entweder nichts (Sparpläne) oder ein Euro (Einmalanlagen). Hinzu kommt, dass der ETF-Markt so hart umkämpft ist, dass Anleger ETFs zu Tiefstpreisen kaufen können. Es ist also schlicht unnötig, alles auf eine Karte zu setzen. Wie könnten Anlegende also vorgehen? Einige Ideen:
Die naheliegende Lösung wäre, in erweiterte MSCI World-ETFs zu investieren. Der MSCI ACWI etwa oder FTSE All World beinhalten auch Schwellenländer, die im Repertoire von MSCI World ETFs fehlen. Doch diese Lösung ist nur eingeschränkt zu empfehlen. Der MSCI ACWI investiert nur in homöopathischen Dosen in Schwellenländern. Die USA machen auch hier rund 65 Prozent des Gewichts aus. Stattdessen kaufen sich Anlegende beim „ACWI“ chinesische Staatsunternehmen ein, die in Schwellenländer-Indizes eine wichtige Rolle spielen.
Eine definitiv schlechte Lösung ist es, in "Ersatz-MSCI-World-ETFs" zu investieren. Findige Anbieter haben in den vergangenen Jahren immer wieder Ein-Produkt-Lösungen auf den Markt geworfen, um vom MSCI World-Hype zu profitieren. Solche ETFs mögen auf den ersten Blick einige Gewichtungsprobleme des MSCI World adressieren, aber dafür weisen sie andere Defizite auf und kosten in aller Regel mehr als das Doppelte von günstigen MSCI World ETFs. Bequeme Anlegende sollten bei totaler Bequemlichkeit bei ihren MSCI World oder MSCI ACWI-ETFs bleiben.
Eine gute Lösung ist es, auf günstige Robo-Advisor zu setzen. Sie vereinen mehrere ETFs unter einem Dach. Hier ist etwas Recherche-Aufwand nötig, weil es gilt, sich keine teure aktive Verwaltung durch die Hintertür einzufangen. Robo-Advisor adressieren das grundlegende Manko des MSCI World: sie bringen die Vielfalt der ETF-Welt ins Spiel. An deutschen Börsen werden über 2.000 ETFs gehandelt. Es ist eine gute Idee, mehr als nur eine Sorte ETFs für Anlegende arbeiten zu lassen!
DIY-Anlegende, die ihr Portfolio selbst aufbauen, brauchen nur Papier, Bleistift und 10 Minuten Zeit, um sich ein Portfolio aus 4, 5 oder 6 Bausteinen zusammenzusetzen. Das Schöne an ETFs ist, dass es sich um transparente und granulare Bausteine handelt. Wer also ETFs für verschiedene Märkte mischt, kann sicher sein, keine Überschneidungen im Portfolio zu produzieren. Was wäre, wenn sich eine Anlegerin oder ein Anleger entscheiden würde, fünf Gratis-Sparpläne auf fünf ETFs zu verteilen statt auf einen? In individuell festgelegter Gewichtung könnten sie USA-Aktien, Aktien Europa, Aktien Japan, Aktien Schwellenländer und auf globale Small Caps zusammenbringen. Wenn sich nach einer Spardauer von drei oder fünf Jahren eine Unwucht des einen oder anderen ETFs herausgebildet hat, ließe sich diese durch eine einfache Anpassung der Sparplanbeiträge zügig relativieren (Sparpläne auf Gewinner werden reduziert, Sparpläne auf Verlierer werden aufgestockt). Das klingt nicht nur einfach - das ist es sogar auch.
Von Ali Masarwah, 26. August 2024, © envestor.de
Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor.de, eine der wenigen Fondsplattform, die Cashbacks auf Fonds-Vertriebsgebühren zahlt. Masarwah analysiert seit über 20 Jahren Märkte, Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar. Seine Expertise wird auch von zahlreichen Finanzmedien im deutschsprachigen Raum geschätzt.
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