Auch wenn die Aktienmärkte in den ersten sieben Monaten des Jahres positive Renditen erzielt haben, dürfte das Auf und Ab viele Anleger gestresst haben. Low-Volatility-Strategien können in solchen Marktphasen hilfreich sein. Was hinter diesen ETFs und Fonds steckt, erläutert Ali Masarwah, Fondsanalyst und Geschäftsführer des Finanzdienstleisters envestor.
28. Juli 2025. FRANKFURT (envestor): Zunächst die Definition des sogenannten Low-Volatility-Faktors. Er bringt Aktien zusammen, deren Preise in der Vergangenheit weniger stark geschwankt haben als der Gesamtmarkt. Das klingt trivial, und das ist es in gewisser Weise auch: Was weniger schwankt, hat die Eigenschaft, weniger zu verlieren, und das muss dann auch nicht übermäßig viel steigen, um die Verluste auszugleichen. Besonders in Krisenzeiten gelten Low-Volatility-Strategien als stabiler Anker und haben geholfen, Verluste zu begrenzen.
In den 1970er Jahren hinterfragten Ökonomen wie Fischer Black das damals gängige Kapitalmarktmodell, das Capital Asset Pricing Model, kurz CAPM, das einen Zusammenhang zwischen dem Marktrisiko und der erwarteten Rendite eines Wertpapiers beschreibt. Sie stellten fest, dass Aktien mit weniger Schwankung (niedrigeres Beta) oft sogar höhere Renditen bringen als riskantere Werte. Die alte Börsenregel „Ohne Risiko kein Ertrag“ wurde dadurch relativiert – manchmal ist das Gegenteil richtig: weniger Risiko, mehr Spaß am Depot.
Warum funktioniert diese Strategie?
Viele Anleger suchen das schnelle Geld und setzen auf stark schwankende, „aufregende“ Aktien – ähnlich wie beim Lottospiel. Das führt dazu, dass eher ruhige Aktien weniger gefragt, oft günstiger bewertet und letztlich vom Markt unterschätzt werden. Obendrein dürfen manche Anleger (zum Beispiel Fondsmanager) nicht zu sehr von ihrem Vergleichsindex abweichen. Andere Anleger können oder dürfen kein Fremdkapital einsetzen. Sie kaufen daher riskantere Werte in der Annahme, dass diese eine Kompensation für einen Kredithebel darstellen. Manche Finanzwissenschaftler haben die These aufgestellt, dass der Low-Volatility-Vorteil daher kommt, dass solche Aktien ähnlich wie „Value Stocks“ oft sowieso schon günstig und profitabel sind.
Kommen wir jetzt zur Performance – wie haben sich Low-Volatility-Aktien in den vergangenen Jahren geschlagen? Im Vergleich mit ihren „Mutterindizes“ (zum Beispiel MSCI World) haben Low-Volatility-Indizes über die vergangenen 20 Jahre ein gemischtes Bild gezeigt:
Darüber hinaus kann es unangenehme Überraschungen geben bei plötzlichen Strukturbrüchen: Das war ausgerechnet im Corona-Crash der Fall, als Low-Volatility-Fonds und -ETFs durch den schnellen Wechsel von Crash zu Aufschwung überfordert wurden – darüber hinaus gerieten vermeintlich stabile Versorger und Konsumwerte im sogenannten „Quant-Winter“ unter die Räder.
Für die Erfolgsmessung sollten Anleger die Volatilität, den Maximalverlust und die risikoadjustierte Rendite verwenden, etwa mit der Sharpe Ratio. Über lange Zeiträume sind diese Werte von Low-Volatility-Portfolios in der Regel deutlich besser als die des Gesamtmarkts, auch wenn die Märkte nach oben tendieren. Low Volatility bringt also mehr Ertrag pro Risiko-Einheit.
Die Praxis: Für wen lohnt sich Low Volatility?
Wer Verluste vermeiden will, aber dennoch investiert bleiben möchte, findet in Low-Volatility-Aktien eine Alternative zum „Komplett-Aussteigen“. Das ist kein trivialer Umstand, denn viele Anleger neigen dazu, bei hohen Verlusten zum ungünstigsten Zeitpunkt auszusteigen. Die Strategie eignet sich also nicht nur für konservative Anleger. Für viele Investoren ist es wichtig, „dabei zu bleiben“. Wer auf Low Volatility setzt, liquidiert sein Aktienportfolio also mitunter nicht im ungünstigsten Zeitpunkt.
Fallstricke und Timing-Fehler
Viele Privatanlegerinnen und -anleger verstehen die Vorteile von risikoadjustierten Kennzahlen wie die Sharpe Ratio nicht – für sie bleibt die Outperformance „durch die Hintertür“ schwer greifbar. Zudem versuchen viele, Low-Volatility-Fonds und -ETFs zum optimalen Zeitpunkt zu kaufen und zu verkaufen. Market Timing funktioniert aber auch hier nicht, denn Performance kommt oft überraschend: Wer nach einem guten „Run“ bei Low Volatility einsteigt, riskiert mitunter eine deutliche Underperformance, weil diese Strategien in Erholungsphasen der Märkte typischerweise zurückbleiben. Auch schützt Low Volatility nicht vor Verlusten in starken Krisen, sondern mildert diese nur ab. 2022 etwa verlor auch der MSCI World Minimum Volatility Index 13,5 Prozent, während der Gesamtmarkt 20 Prozent verlor. Es geht also auch bei Low Volatility darum, langfristig am Ball zu bleiben. Weniger Drama an der Börse bringt meist etwas weniger Jubel in Aufschwungzeiten, reduziert aber die Kopfschmerzen in Abwärtsphasen.
Von Ali Masarwah, 28. Juli 2025, © envestor.de
Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor.de, eine der wenigen Fondsplattform, die Cashbacks auf Fonds-Vertriebsgebühren zahlt. Masarwah analysiert seit über 20 Jahren Märkte, Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar. Seine Expertise wird auch von zahlreichen Finanzmedien im deutschsprachigen Raum geschätzt.
Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors wieder, nicht die der Redaktion von boerse-frankfurt.de. Sein Inhalt ist die alleinige Verantwortung des Autors.
Uhrzeit | Titel |
---|