Warum Trendfolger langfristig glänzen – und in einer bestimmten Marktphase eklatante Schwächen offenbaren. Ali Masarwah, Fondsanalyst und Geschäftsführer des Finanzdienstleisters envestor, über die Frage, warum mit Momentum eine weitere konterintuitive Strategie klassischen Indizes eine lange Nase zeigt.
Momentum: Ein Erfolgsrezept, das auf den Rückspiegel setzt
11. August 2025. FRANKFURT (envestor): Jeder kennt die Binsenweisheit, die unter jeder Performance-Darstellung von Fonds- und ETF-Werbung steht: Die Vergangenheitsrendite ist nicht indikativ für die künftige Performance. Nun, sie ist es oft doch – sofern man es richtig angeht. Fonds oder ETFs mit Momentum- bzw. Trendfolge-Strategien investieren in die Gewinner von gestern, in der Annahme, dass diese auch morgen die Gewinner sein werden. Die These stimmt: Momentum-Strategien zählen langfristig zu den zuverlässigsten Rendite-Faktoren. Momentum-ETFs sind entsprechend längst keine Nischenprodukte mehr.
Erstmals wurde der Momentum-Faktor 1993 von Narasimhan Jegadeesh und Sheridan Titman entdeckt. Sie wiesen nach, dass Aktien, die sich in den vergangenen drei bis zwölf Monaten besonders gut entwickelt hatten, auch weiterhin überdurchschnittliche Renditen erzielten, während Underperformer zurückblieben. Warum das so ist, ist noch nicht vollständig geklärt, nach vorherrschender Meinung liegt es aber im Herdentrieb der Anleger. Was gestiegen ist, wird weiter „gepusht“. Momentum ist, fachlich ausgedrückt, der Stachel im Fleisch der Effizienzmarkthypothese, deren Leitbild der Homo Oeconomicus, also der jederzeit rational handelnde Akteur ist. Damit ähnelt diese konterintuitive Strategie in gewisser Weise ihrem Antipoden, dem Low-Volatility-Faktor, den wir jüngst an dieser Stelle vorgestellt haben.
Momentum-ETFs werden typischerweise in einem systematischen Zwei-Phasen-Modell umgesetzt. Dabei fließen sowohl die Sechs- als auch die Zwölfmonatsrenditen ein. Das Ergebnis ist ein Portfolio, das in Boomphasen zuverlässig auf die stärksten Trends setzt – und damit oft den Gesamtmarkt schlägt. Es gibt viele weitere Ausprägungen dieser Strategie, etwa Long-Short-Modelle oder Ansätze mit mehr oder weniger strengen Limits. Die meisten Momentum-ETFs haben recht enge Limits auf Sektorenebene gesetzt, um ein Minimum an Diversifikation sicherzustellen.
Und wo ist der Haken?
Es gibt eine „strukturelle Blindstelle“ bei Momentum-Strategien. Sie sind rückwärtsgewandt. Was gestern stark war, wird heute hochgewichtet – auch dann, wenn der Aufwärtstrend bereits bröckelt. In einem Markt, der abrupt dreht oder, schlimmer noch, der ständig die Richtung wechselt, werden Trendfolger auf dem falschen Fuß erwischt.
Betrachtet man die vergangenen zwanzig Jahre, so lieferte der MSCI World Momentum Index eine herausragende Outperformance gegenüber dem MSCI World: 650 Prozent gegenüber 405 Prozent (in US-Dollar berechnet). Ein Lehrbuchbeispiel für die langfristige Stärke des Faktors war die Boomphase zwischen 2009 und 2021.
Besonders eindrucksvoll war die Outperformance 2019 und 2020, als Techwerte wie Apple, Microsoft oder Nvidia in Momentum-Strategien hoch gewichtet waren. Momentum-ETFs waren in dieser Zeit voll auf die Digitalisierungs- und Pandemie-Profiteur-Trends eingestellt.
Doch es gab in der langen Hausse immer wieder Phasen mit Rücksetzern. 2022 brachte die Zinswende Tech- und Wachstumswerte abrupt unter Druck. Im ersten Halbjahr dieses Jahres brachen Tech-Werte nach der Erholung 2023 und 2024 wieder so stark ein, dass der Momentum-Index diese im Juni deutlich untergewichtet hatte – im Juli konnte er also nicht von der guten Tech-Performance profitieren. Spiegelbildlich zogen Energie- und Value-Sektoren 2022 erst verzögert in Momentum-Portfolios ein.
Das aktuelle Jahr wiederum brachte ein anderes Problem für Momentum-Strategien: Der Markt fiel zwar nicht in eine Baisse, pendelte aber in vielen Segmenten seitwärts. Das Ergebnis war eine Sektorrotation ohne klaren Führungsstil – Momentum-ETFs kamen wegen der hohen Umschichtungen zeitweise kaum vom Fleck. Die untere Grafik zeigt, wie stark die Sektorenrotation in einem Momentum-ETF, der den globalen MSCI abbildet, über die Jahre sein kann.
Momentum – eine Prämie für das „Seitwärtsrisiko“?
Die Prämie, die Anleger für Momentum-Strategien erhalten, ist real, aber ebenso das Risiko, in vermeintlich langweiligen Seitwärtsphasen deutlich dem allgemeinen Markt hinterherzulaufen. Dies gilt insbesondere für Long-Short-Strategien, von denen im März 2003 und auch im Frühjahr 2009 an Wendepunkten nach der Krise regelrecht implodierten. Auch wenn die Bezeichnung „Momentum“ etwas anderes suggeriert: Diese Strategien sind bei wechselhafter Marktrichtung bemerkenswert träge. Wenn die Zukunft der Vergangenheit ähnelt – sprich, die Märkte insgesamt steigen werden, wird das Marktmomentum (das auch auch kapitalisierungsgewichteten Indizes nicht fremd ist) durch Momentum-Strategien amplifiziert. Doch wehe, Momentum-ETFs treffen auf wankelmütige Anleger, die sich nicht entscheiden können. Dann schlägt zumeist die Stunde des Antipoden, der Low-Volatility-Strategien.
Von Ali Masarwah, 11. August 2025, © envestor.de
Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor.de, eine der wenigen Fondsplattform, die Cashbacks auf Fonds-Vertriebsgebühren zahlt. Masarwah analysiert seit über 20 Jahren Märkte, Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar. Seine Expertise wird auch von zahlreichen Finanzmedien im deutschsprachigen Raum geschätzt.
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