Das Statistische Bundesamt hat seine Angaben zur Verfassung der Deutschen Wirtschaft seit 2022 korrigiert. Fondsmanager Christoph Frank ist überrascht vom Ausmaß der Korrektur und zerpflückt deren Folgen für Unternehmen und Anleger.
1. September 2025. FRANKFURT (pfp Advisory). Deutschland war 2022 bis 2024 doch in der Rezession. Diese Nachricht war überraschenderweise in den vergangenen Wochen im medialen Trommelfeuer um Zölle, Ukraine-Krieg und Fed-Personalien selten ein Thema. Was ist passiert? Das Statistische Bundesamt veröffentlichte vor einigen Wochen, „versteckt“ in der Mitteilung zum Q2-BIP, revidierte Zahlen für 2021 bis 2024. Lapidar stellte die Behörde fest, es hätten sich „für das vierteljährliche, preisbereinigte BIP Änderungen der bisherigen Ergebnisse von -0,7 bis +0,6 Prozentpunkten“ ergeben.
Zur Einordnung: Diese nachträglichen Korrekturen haben eine Dimension, die ich in vergleichbarer Höhe noch nie gesehen habe. Üblich sind Änderungen um 0,1, vielleicht auch einmal um 0,2 Prozentpunkte. Im aktuellen Fall geht es dagegen um massive Korrekturen, die ein Vielfaches davon betragen. Eine mitgelieferte Tabelle offenbarte Details: Demnach ist die deutsche Volkswirtschaft 2021 und 2022 stärker gewachsen als bisher berechnet, während sie 2023 saison- und kalenderbereinigt statt um 0,1 Prozent um 0,7 Prozent schrumpfte und 2024 um 0,5 Prozent statt um 0,2 Prozent.
Für das Vorliegen einer Rezession entscheidend ist die Betrachtung der Einzelquartale. Während es in der alten Berechnung keine zwei Quartale in Folge gab, in denen das Bruttoinlandsprodukt abnahm, mithin also vermeintlich auch keine Rezession vorlag, ist dies in der aktualisierten Zahlenreihe gleich zweimal der Fall: vom vierten Quartal 2022 bis zum zweiten Quartal 2023 und noch einmal vom vierten Quartal 2023 bis zum zweiten Quartal 2024. Es gab also jeweils drei Vierteljahre mit Minuszeichen in Serie bzw. zwei Rezessionen statt keiner.
Damit ergibt sich ein merklich verändertes Konjunkturbild, auch wenn das BIP am Ende des Jahres 2024 in der revidierten Gesamtrechnung nur unwesentlich unter dem früheren Wert herauskommt. Aber der Weg dorthin sieht nun plötzlich ganz anders aus: Die deutsche Volkswirtschaft erholte sich nach der Corona-Pandemie nun doch dynamischer und erlebte nach dem russischen Angriff auf die Ukraine und der Energiekrise einen stärkeren Einbruch – statt der eher ruhigen, fast schon stagnierend-stabilen Entwicklung, die die nun überholten Zahlen suggerierten.
Dieses revidierte Konjunkturbild passt nicht nur besser zu meinen persönlichen, z. B. auch in Gesprächen mit Unternehmensvertretern gesammelten Eindrücken, sondern auch viel besser zur Entwicklung benachbarter europäischer Länder und zu anderen Konjunkturindikatoren in diesem Zeitraum.
Leider tragen die nachträglichen Revisionen nicht gerade zur Vertrauensbildung bei, zumal in einer Zeit, in der das Misstrauen in staatliche Institutionen in Deutschland wächst und ein US-Präsident schon mal die Chefin einer wichtigen Statistikbehörde schasst, weil er ihr Manipulation unterstellt. Schließlich ist das BIP keine exotische Nischen-Kennzahl für Statistik-Nerds, sondern der mit Argusaugen beobachtete Wert für das Wirtschaftswachstum und die wirtschaftliche Lage Deutschlands. Für Forschungsinstitute, Bundesregierung (z. B. auch wegen der Steuerschätzung) und selbstverständlich auch Deutschlands börsennotierte Aktiengesellschaften sind diese Daten eine sehr wichtige Grundlage, die in nahezu jedem Quartalsbericht zitiert werden. Nun ist Fakt, dass die Guidance so mancher AG in den vergangenen Jahren auf fragwürdigen BIP-Zahlen und Prognosen basierte.
Selbstverständlich kann auch eine Statistikbehörde ab und zu (grobe) Fehler machen (wie ich selbst auch). Allerdings scheint mir der Ratschlag mancher Akademiker oder Behördenmitarbeiter, Anleger sollten doch künftig Revisionen abwarten, schon reichlich praxisfern. Investoren müssen mit dem Zahlenmaterial arbeiten, das zum fraglichen Zeitpunkt zur Verfügung steht, und nicht mit jenem, das Jahre später veröffentlicht werden wird. Ich persönlich schätze es mehr denn je als Vorteil ein, dass wir bei pfp Advisory volkswirtschaftlichen Kennzahlen traditionell kaum Bedeutung beimessen und für unsere Investmentstrategie auch nicht benötigen.
Von Christoph Frank, 1. September 2025, © pfp Advisory
Christoph Frank ist geschäftsführender Gesellschafter der pfp Advisory GmbH. Gemeinsam mit seinem Partner Roger Peeters steuert der seit über 25 Jahren am deutschen Aktienmarkt aktive Experte den DWS Concept Platow (WKN DWSK62), einen 2006 aufgelegten und mehrfach ausgezeichneten Stock-Picking-Fonds, sowie den im August 2021 gestarteten pfp Advisory Aktien Mittelstand Premium (WKN A3CM1J). Weitere Infos unter www.pfp-advisory.de. Frank schreibt regelmäßig für die Börse Frankfurt.
Uhrzeit | Titel |
---|