Fondsmanager Frank erinnert an das schlechte Image der deutschen Wirtschaft in den 90ern, Problem Lohnkosten, zieht zuversichtlich stimmende Parallelen zu heute, Problem Energiekosten.
14. November 2022. FRANKFURT (pfp Adisory). Wer schon längere Zeit an der Börse aktiv ist, wird sich vielleicht an die Diskussion um den „Standort Deutschland“ in den späten neunziger Jahren erinnern. Damals hießen die Bundeskanzler noch Helmut Kohl und Gerhard Schröder. Deutschland galt zu dieser Zeit als behäbig, reformunwillig, als Wirtschaftsstandort zu unattraktiv und teuer. Wirtschaftsinstitute schimpften über den „Arbeitskostenweltmeister Deutschland“. Der britische „Economist“ schmähte die hiesige Volkswirtschaft 1999 in einem vielbeachteten Artikel als „sick man of the euro”. Die Zukunft wurde in düsteren Farben gemalt. Deutschland drohe der dauerhafte Abstieg, hieß es.
20 Jahre später wissen wir: Es kam alles ganz anders. Die deutsche Politik zog die „Agenda 2010“ durch. Deutschland wurde wettbewerbsfähiger, gewann mit seinen Unternehmen wieder an Kraft, mutierte gar zur Konjunkturlokomotive Europas und zum Hort der Stabilität. 15 Jahre nach der Standortdiskussion galt Europas größte Volkswirtschaft bei angelsächsischen Wirtschaftsmagazinen plötzlich als Vorbild, dem es nachzueifern gelte.
Manches an der derzeitigen Krisendebatte erinnert mich an diese Standortdiskussion vor etwa einem Vierteljahrhundert. Wieder sind die Probleme groß: Waren es damals die hohen Arbeitskosten, die Deutschland als hochentwickeltes und „teures“ Industrieland nicht über Nacht senken konnte, so sind es heute die hohen Energiekosten, die Politikern und Wirtschaftsbossen Schweißperlen ins Gesicht treiben. Kein anderes Thema taucht derzeit so häufig in Gesprächen mit Unternehmensvorständen, Investoren und anderen Kapitalmarktakteuren auf. Und wegen keines anderen Themas ist die Stimmung so gedrückt, sind die Blicke so zweifelnd.
Mein Eindruck aus diesen Gesprächen ist allerdings auch: Innerhalb der Aktiengesellschaften wird an der Lösung dieser Probleme längst mit Hochdruck gearbeitet, und viele sind dabei schon ein sehr gutes Stück vorangekommen. Selbstverständlich ist mir bewusst, dass ich hier möglicherweise einer gewissen Stichprobenverzerrung unterliegen könnte, da ich überproportional häufig mit Vorständen von Qualitätsunternehmen spreche, die für unseren Investmentansatz nun einmal wichtiger sind als Durchschnittsunternehmen. Trotzdem werte ich diese persönlichen Eindrücke als Indiz, dass nicht alles so schwarz ist, wie es in der Presse gerne gemalt wird. Überdies stimmen sie überein mit meiner Erfahrung aus den vergangenen 25 Jahren, die Anpassungsfähigkeit deutscher Unternehmen besser nicht zu unterschätzen. Gute Manager fanden damals einen Weg und finden ihn auch heute.
Allerdings will ich die Probleme auch nicht schönreden: Ja, es wird durch die hohen Energiepreise und die Deglobalisierung Wohlstandsverluste geben; kurz- und mittelfristig auf jeden Fall, für Deutschland als Ganzes und auch für viele einzelne Bürger. Denn strukturell verliert die heimische Wirtschaft zunächst unbestreitbar an Wettbewerbsfähigkeit. Einige Unternehmen werden sich neue Geschäftsmodelle suchen müssen, wie ich an dieser Stelle im April thematisiert habe.
Gleichwohl wird die deutsche Volkswirtschaft auch diesmal nicht untergehen. Vielmehr befindet sie sich in einem Anpassungsprozess, der je nach Einzelfall manchmal lange dauern, manchmal aber auch überraschend schnell vonstattengehen wird. Aber grundsätzlich sind die Probleme heute genauso lösbar wie ihre Pendants vor 25 Jahren. Nicht alle Unternehmen werden es schaffen, denn einige Geschäftsmodelle sind in der neuen Umgebung schlicht nicht mehr zukunftsfähig. Aber auch das gehört zu einer Marktwirtschaft: Firmen, die keine funktionierende Geschäftsidee mehr haben, verschwinden und machen Platz für Neueinsteiger, die besser in die neue Zeit passen. Wenn auch die Politik ihren Teil zur Lösung dieses Umbruchs beiträgt, ist mir um die Zukunft Deutschlands und deutscher Aktiengesellschaften ebenso wenig bange wie vor einem Vierteljahrhundert.
von Christoph Frank, 14. November 2022, © pfp Advisory
Christoph Frank ist geschäftsführender Gesellschafter der pfp Advisory GmbH. Gemeinsam mit seinem Partner Roger Peeters steuert der seit über 25 Jahren am deutschen Aktienmarkt aktive Experte den DWS Concept Platow (WKNDWSK62), einen 2006 aufgelegten und mehrfach ausgezeichneten Stock-Picking-Fonds, sowie den im August 2021 gestarteten pfp Advisory Aktien Mittelstand Premium (WKN A3CM1J). Weitere Infos unter www.pfp-advisory.de. Frank schreibt regelmäßig für die Börse Frankfurt.
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