Der Abschied von russischem Öl und Gas beschleunigt den Ausbau alternativer Energiequellen. Investoren eröffnet der Umstieg enorme Chancen, erwartet das ETF Magazin.
27. Juni 2022. MÜNCHEN (ETF Magazin). Russlands Armee zerstört gerade nicht nur die Heimat und das Leben von 40 Millionen Menschen. Sie demontiert auch ein Versorgungssystem, auf das sich Europa seit Jahrzehnten verlässt. Fast die Hälfte der EU-Gas- und -Kohleimporte lieferte Russland in den vergangenen Jahren, ebenso ein Viertel der Öleinfuhren. Doch künftig wird die Energiewelt anders aussehen. „Wir müssen uns aus der Abhängigkeit von Gas, Öl und Kohle aus Russland befreien“, fordert EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Deutschland solle künftig sogar komplett ohne Energie aus Russland auskommen. „Deshalb reduzieren wir mit aller Konsequenz unsere Abhängigkeit von russischer Energie auf null – und zwar für immer“, erklärte Außenministerin Annalena Baerbock Mitte Mai in Kiew.
Doch wie soll das gelingen? Neue alternative Energiequellen werden ein substanzieller Teil der Lösung sein. „Wir müssen im Eiltempo auf erneuerbare Energien umstellen“, drängt EU-Kommissionsvizepräsident und Klima-Kommissar Frans Timmermans. Das scheint auch Geldanlegern klar zu sein. Unmittelbar nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine zogen die Kurse von Solar- und Windenergieaktien kräftig an. Der Auftrieb dürfte in den nächsten Jahren anhalten – und mit den richtigen ETFs sind Anleger dabei.
Der jetzt durch den Krieg hervorgerufene Zwang zum Ausbau der alternativen Energiequellen verstärkt eine schon vor einigen Jahren begonnene Entwicklung: den Kampf gegen die Klimaerwärmung und den damit verbundenen Umstieg von fossilen auf Erneuerbare-Energie-Quellen. „Nach der Invasion in die Ukraine sprechen noch mehr starke und klare Argumente für eine schnelle, saubere Energiewende“, erklärt die EU-Kommission. Auch die Bundesregierung setzt mit einem neuen Gesetzespaket auf die radikale Abkehr von fossilen Energieträgern. Statt Strom aus Atom, Gas und Kohle soll nur noch Strom aus Wind, Sonne und Biomasse durch die deutschen Netze fließen. Bereits 2030 sollen 80 Prozent unseres Stroms aus erneuerbaren Energien stammen. 2021 lag die Quote erst bei 42 Prozent.
Milliardeninvestitionen
Solarzellen, Windfarmen, Geothermiekraftwerke und Wasserstoffanlagen sollen den schnellen Energiewechsel möglich machen. Eine gigantische Investitionswelle läuft an. Allein die Bundesregierung will 200 Milliarden Euro bereitstellen. Weltweit müssen bis 2030 jährlich mindestens 5,7 Billionen Dollar in Solar- und Windenergie und andere Formen sauberer Energie investiert werden, schätzt die Internationale Agentur für erneuerbare Energien (IRENA). Bis 2050 seien Investitionen von mehr als 130 Billionen Dollar notwendig.
Solar- und Windenergie können ausreichend wachsen, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, urteilen die Experten der unabhängigen Klima-Denkfabrik Ember in einem gerade veröffentlichten Bericht. Voraussetzung: Die aus Wind und Sonne erzeugte Energie wächst bis 2030 weiter mit ihrer bisherigen Rate von rund 20 Prozent. Die Ember-Analyse zeigt auch: Nicht nur Deutschland und Europa setzen auf erneuerbare Energien, sondern auch viele andere Länder. Schon heute beziehen 50 Länder mehr als ein Zehntel ihres Stroms aus Wind- und Solarquellen, berichten die Wissenschaftler. Besonders rapide sei zuletzt der Einsatz erbarer Energie in Holland und Vietnam gestiegen. Doch auch das ungleich größere China baue auf alternative Energiequellen.
„Das Jahrhundertprojekt der Dekarbonisierung bringt eine Vielzahl attraktiver Investmentthemen mit sich“, erklärt Heinz-Werner Rapp vom FERI Cognitive Finance Institute. Nicht nur Solarenergieund Windkraftunternehmen zählen nach seiner Einschätzung zu den möglichen Gewinnern, sondern auch Anlagenbauer, Hersteller von Brennstoffzellen und Elektrolyseuren, Betreiber von Gasnetzen oder Tankerflotten, technische Systemintegratoren sowie Anbieter neuartiger Mobilitätskonzepte.
ETFs für neue Energie
Mit einigen neuen ETFs können Anleger gezielt auf Teilbereiche des Sektors setzen. So hat Invesco seit letztem August den Invesco-Solar-Energy-ETF im Programm. Der ETF investiert in rund 50 Aktien der Sonnenenergiebranche. Knapp die Hälfte davon sind US-Titel, den Rest stellen etwa zu gleichen Teilen Aktien aus Europa und Asien. Bei den Unternehmen im ETF-Portfolio handelt es sich vor allem um Hersteller von Solarstromanlagen, Solarzellenproduzenten und andere Technikanbieter, aber auch um Unternehmen, die sich um die Wartung und Finanzierung der Anlagen kümmern. Drei Viertel dieser Unternehmen haben eine mittlere bis geringe Marktkapitalisierung. Der ETF bildet dabei die Wertentwicklung des MAC-Global-Solar-Energy-Index ab, der bereits seit April 2008 berechnet wird.
Ein Investment in diesen ETF könnte lohnen: Nach Analystenschätzungen steht der Solarenergiebranche in den nächsten Jahren ein großes Wachstum bevor, denn sie ist die am schnellsten wachsende Energiesparte. Bis zum Jahr 2050 wird sich die Gesamtkapazität der Photovoltaik verzwanzigfachen, schätzen die Analysten von Bloomberg NEF. Damit werde dann die Solarenergie fast 40 Prozent des weltweiten Strombedarfs decken. Unterstützt wird das Wachstum durch einen rapiden Preisverfall. Die Kosten für Photovoltaikanlagen sind seit 2010 um 85 Prozent gefallen, berichtet die International Renewable Energy Agency (IRENA). In den nächsten Jahren erwarten Experten weiter stark fallende Kosten.
Für Windenergieaktien steht inzwischen ebenfalls ein ETF bereit. Windenergie ist bislang vor allem ein europäisches Thema, aber künftig dürfte auch in den Vereinigten Staaten der Markt größer werden. Die US-Regierung will bis 2030 die Kapazität der Windfarmen vor den Küsten massiv hochfahren. Dazu sollen jedes Jahr zwölf Milliarden Dollar in NEUE ENERGIE Quelle: IRENA Quelle: Morningstar 23 den Sektor fließen. Mit dem erst in diesem Februar aufgelegten Global-X-Wind-Energy-ETF beteiligen sich Anleger an 27 Unternehmen aus der Branche. Der von der US-Fondsgesellschaft Global X angebotene ETF enthält Aktien von Windkraftanlagenbetreibern und -herstellern sowie von Turbinenbauern und Anbietern von Windenergietechnik.
Wasserstoff gilt Fachleuten als ein weiteres Schlüsselelement der Energiewende. „Wasserstoff als Energiequelle der Zukunft“ sei eines der spannendsten Kapitalmarktthemen der Zukunft, sagt FERI-Manager Rapp. Drei kürzlich aufgelegte ETFs bieten Zugang zu Unternehmen aus der Wasserstoffbranche. Der L&G-Hydrogen-Economy-ETF und der VanEck-Vectors-Hydrogen-Economy-ETF investieren in 35 beziehungsweise 25 Unternehmen entlang der Wasserstoff-Wertschöpfungskette. Der BNP-ParibasEasy-ECPI-Global-ESG-Hydrogen-Economy-ETF engagiert sich sogar bei 40 Gesellschaften.
Traumhafte Renditen
Trotz der langfristig guten Perspektiven für die Unternehmen des Sektors der regenerativen Energien läuft das Geschäft an einigen Stellen noch nicht ganz rund, beispielsweise bei den europäischen Windkraftanlagen-Herstellern. Zum Teil sind dafür hausgemachte Probleme, Lieferengpässe oder Ähnliches verantwortlich. Wer sich deshalb lieber etwas breiter aufstellt, findet ebenfalls einige passende ETFs. Ein paar dieser breiten Clean-Energy-ETFs haben sich schon in den vergangenen Jahren bestens entwickelt. So schaffte der iShares-Clean-Energy-ETF eine dreimal so hohe Wertsteigerung wie der Welt-Aktien-Markt.
Allerdings gehört der Indexfonds auch zu den volatileren Fonds. In den vergangenen zwölf Monaten gab der Kurs deutlich nach. Zum Teil war die Volatilität der Tatsache geschuldet, dass der 2007 aufgelegte ETF trotz seines sehr hohen Fondsvermögens lange nur 30 Aktien mit eher niedrigerer Marktkapitalisierung enthielt. Abflüsse aus dem ETF führten direkt zu Kursverlusten dieser oft kleinen Nebenwerte. Doch inzwischen wurde nachgebessert und das Portfolio auf 75 Aktien erweitert. Wie bei anderen New-Energy-Fonds dominieren trotzdem weiterhin Aktien mit mittlerer bis niedriger Marktkapitalisierung. Auch regional zeigt sich die typische Gewichtung für den New-Energy-Sektor, mit knapp 50 Prozent Aktien aus Nordamerika und 40 Prozent europäischen Werten.
Trotz der erhöhten Titelanzahl bleibt das ETF-Portfolio stark konzentriert. Knapp 10 Prozent (die Höchstgrenze für einen einzelnen Titel) entfallen auf das US-Unternehmen Enphase Energy, das Steuerungs- und Managementlösungen für Solaranlagen in Privat- und Geschäftshäusern entwickelt. Knapp sieben Prozent des Portfolios stellen Aktien von SolarEdge Technologies, die ebenfalls Steuerungstechnik für Solaranlagen anbieten. Zu den weiteren am höchsten gewichteten Aktien im Portfolio gehören daneben die Windenergieunternehmen Vestas Windsystems (8 Prozent Anteil) und Orsted (7 Prozent).
Ähnlich positionierte ETFs für alternative Energieerzeugung stehen bei den Fondsgesellschaften HANetf, Invesco, L&G sowie Lyxor im Regal. Mit deutlich mehr als einer Milliarde Euro Vermögen ist dabei der 2007 aufgelegte Lyxor-ETF der zweitgrößte New-Energy-ETF. In seinem Portfolio finden sich rund 80 Aktien, etwas mehr Titel als im iShares-ETF, wobei Werte aus Europa und Asien mit zusammen 56 Prozent Anteil etwas höher gewichtet werden als im iShares-ETF.
Wer gezielt auf US-amerikanische New-Energy-Titel setzen will greift zum First-Trust-Nasdaq-Clean Edge-Green-Energy-ETF. Dieser ETF hält 65 Titel, die an US-Börsen gelistet sind. 83 Prozent des Portfolios belegen Aktien von US-Unternehmen, den Rest stellen überwiegend chinesische Aktien.
27. Juni 2022, © ETF Magazin
Uli Kühn ist Chefredakteur des ETF Magazins
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