ETFs bilden nicht nur Indizes wie den DAX, MSCI World oder S&P 500 ab. ETF-Anbieter legen jede Menge sogenannter Smart Beta ETFs auf, die alternative Indexkonzepte verfolgen. Was es mit diesen ETFs auf sich hat und wie erfolgreich diese Strategie-ETFs sind, erläutert Ali Masarwah, Analyst und CEO vom Finanzdienstleister envestor.
27. Mai 2024. FRANKFURT (envestor). Längst nicht alle ETFs bilden klassische Indizes ab. Am Markt tummeln sich auch ETFs, die Strategien wie Value, Growth, Momentum, Quality oder Low Volatility abbilden. Strategie-ETFs haben das Ziel, klassische Marktindizes und aktiv verwaltete Fonds zu übertreffen. Und weil ohne Marketing alles nichts ist, versehen ETF-Anbieter diese Produkte gerne mit dem Attribut „smart“. Um die „Smart“-ETF-Welle zu verstehen, zunächst ein kleiner historischer Abriss.
Es war einmal eine Zeit, in der die Finanzwelt eine Scheibe war. Für Wertpapiere gab es nur einen Referenzpunkt: den Markt. Wer in US-Aktien investierte, hatte den S&P 500 oder Russell 1000 als Benchmark. Messlatten für deutsche Aktien waren zunächst der FAZ-Index, später der DAX. Der FTSE 100, auch „Footsie“ genannt, stand für den britischen Markt. Und so weiter und so fort. Privatanleger und Vermögensverwalter galten als geschickt, wenn sie besser waren als „Mr. Market“. Dann hatten sie ein „Alpha“, also eine Überrendite erzielt. Über die Gründe wurde nicht gesprochen.
Ab den 1990-er Jahren nahm die Leistungsfähigkeit von Computern zu, die Rechenschieber wurden ausgemustert. Die zunehmend digitalisierte Finanzmarktforschung nahm sich die Märkte genauer vor und, siehe da: Wertpapierrenditen waren nicht bloße Wertpapierrenditen, sondern Faktorprämien: 1992 verkündeten Eugene Fama und Graham French die Existenz der alternativen Performance-Quellen Value und Size. Günstig bewertete und kleine Unternehmen lieferten demnach systematische Renditequellen, und diese seien den Marktrenditen überlegen. Die Size- und der Value-Faktoren waren geboren. Mark Carhart ergänzte das Modell 1997 um den Momentum-Faktor, und einige Jahre später haben Fama und French zwei weitere Faktoren „entdeckt“. Heute zählt der Indexanbieter S&P über 70 Einzelfaktoren für verschiedene Märkte auf. Nicht nur Kritiker sprechen heute vom „Faktor-Zoo“.
Die ETF-Industrie hat die Welt der Faktor-Prämien in den vergangenen 15 Jahren in Produkte übersetzt. Value-, Momentum-, Quality-, Low-Volatility-, Small-Cap-ETFs sind längst bekannte Phänomene am Markt. Sie gewichten die Wertpapiere zumeist nicht nach dem Prinzip der Marktkapitalisierung, sondern nach ihrer Bewertung, Qualitätsstufe, Vergangenheits-Performance und so weiter. Die These: alternative Marktrenditen übertreffen die vermeintlich spießigen Indizes a la DAX oder S&P 500. Wer meint, hier das vertraute Lied der aktiven Fondsmanager zu hören, irrt nicht. Strategie-ETFs wetten mit aktiven, systematischen Strategien gegen den Markt. ETFs sind also in das Outperformance-Rennen der aktiv verwalteten Fonds eingestiegen. Um zu schauen, wie erfolgreich Strategie-ETFs sind, haben wir zwei Analysen vorgenommen:
1. Strategie-ETFs kontra Fonds
Die Untersuchung umfasst drei Zeiträume: 1 Jahr, 3 und 5 Jahre. Die Tabelle lesen Sie so: Ist die Zahl in einem Feld positiv (grün untermalt), signalisiert das, dass Strategie-ETFs in einem Zeitraum den durchschnittlichen Fonds in der Kategorie übertroffen haben. Ist die Zahl negativ (rot gezeichnet), bedeutet das, dass der durchschnittliche Strategie-ETF schlechter abgeschnitten hat als der durchschnittliche Fonds der Kategorie, welcher der Strategie-ETF angehört. Die Ergebnisse können sich sehen lassen: Zahlreiche Faktor-ETFs haben den Durchschnitt der Fonds übertroffen. Besonders erfolgreich waren dabei Momentum-, Quality-, Value- sowie ETFs, die fundamentale Faktoren verwenden. Sie lagen in allen drei Perioden vor ihrer Kategorie. Nur risikominimierende ETFs und Multi-Faktor-ETFs waren mehr oder weniger erfolglos.
Relative Rendite vs. Kategorie-Durchschnitt, in Euro und Prozentpunkten, ab 1 Jahr annualisiert, Daten per 31.3.2024, Quelle: Morningstar
2. Strategie-ETFs kontra die klassischen Indizes
Weniger überzeugend fallen dagegen die Ergebnisse der Strategie-ETFs aus im Vergleich zu klassischen Marktindizes wie MSCI World, DAX oder S&P 500. Wie die untere Tabelle zeigt, konnte lediglich die Gruppe der fundamental investierenden ETFs in allen drei Perioden überzeugen. Growth-ETFs, Momentum-ETFs, Quality- und Value-ETFs übertrafen nur in einer der drei Perioden klassische Marktindizes. Durchgehend schlecht schnitten Dividenden-ETFs, Multi-Faktor-ETFs und risikoorientierte ETFs ab.
Relative Rendite vs. Kategorie-Durchschnitt, in Euro und Prozentpunkten, ab 1 Jahr annualisiert, Daten per 31.3.2024, Quelle: Morningstar
Unser Fazit: In Summe sind Strategie-ETFs im Vergleich zu ihren Benchmarks wenig „smart“. ETF-Anbieter handeln also mit Zitronen, wenn sie die damit werben, dass ihre Produkte klassischen Indizes überlegen sind. Besonders bedenklich ist, dass Dividenden-ETFs, die die beliebteste Gruppe der Strategie-ETFs darstellt, konsequent nirgendwo adäquate Indizes übertreffen können. Wenig schmeichelhaft für ETF-Anbieter ist zudem der überschaubare Erfolg ihrer Multi-Strategie-ETFs, die mehrere Faktoren unter einem Dach vereinen. Sie liegen deutlich hinter den geschmähten Markt-Indizes.
Vergleicht man Strategie-ETFs dagegen mit Fonds, dann liefern sie tatsächlich einen Mehrwert. Allerdings tun das auch herkömmliche ETFs. Untersuchungen zeigen immer wieder, dass nicht nur Aktien-, sondern auch Anleien ETFs in wichtigen Märkten einen Mehrwert gegenüber aktiv verwalteten Fonds liefern. Wer also von Strategie-ETFs wundersame Performance-Ergebnisse erwartet, könnte enttäuscht werden.
Interessant können Strategie-ETFs für Anlegende dann sein, wenn sie ihren Portfolios einen etwas anderen „Dreh“ verleihen wollen. Wer etwa einen Markt als zu teuer einschätzt, kann durch die Beimischung von risikokontrollierenden Low-Volatility-ETFs gegensteuern, ohne gleich das Aktienportfolio zu liquidieren. Und wer in einen Value-Markt wie Europa investiert, kann durch die Hinzunahme von Quality- oder Growth-ETFs seinem europäischen Aktienportfolio eine etwas „sportlichere“ Note geben. Es sollte bei Strategie-ETFs also nicht um Market-Timing, sondern darum, behutsam inkrementelle Veränderungen bei den Eigenschaften eines Portfolios vorzunehmen. Was die Folgen für die Performance sind, muss allerdings angesichts der Pfadabhängigkeit dieser Strategien offen bleiben.
Dieser Gastbeitrag ist der erste Teil einer zweiteiligen Serie zu alternativen ETFs. Im zweiten Teil wird sich der Autor ETFs widmen, die die Strategien aktiver Manager wie Cathie Wood oder Frank Fischer abbilden.
Von Ali Masarwah, 27. Mai 2024, © envestor.de
Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor.de, eine der wenigen Fondsplattform, die Cashbacks auf Fonds-Vertriebsgebühren zahlt. Masarwah analysiert seit über 20 Jahren Märkte, Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar. Seine Expertise wird auch von zahlreichen Finanzmedien im deutschsprachigen Raum geschätzt.
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