Fondsmanager Roger Peeters setzt sich mit dem lauter werdenden Geraune auseinander, dass die Reaktionen an den Börsen auf den sich verschärfenden Nahostkonflikts bisher zu schwach seien, größere Korrekturen noch ausstünden.
23. Juni 2025. FRANKFURT (pfp Adisory):Ende der vorletzten Woche war ich auf einem Kongress gemeinsam mit einigen Dutzend anderer Fondsinitiatoren und Vermögensverwaltern. Freitagmorgen beim Frühstück war das dominierende Thema die Nachricht, aus der vergangenen Nacht: Israel startete einen großen Angriff auf die Atomanlagen des Iran, um zu verhindern, dass die Islamische Republik die Entwicklung dieser Massenvernichtungswaffe abschließt. Neben der Bewertung der Aktion als solche gab es natürlich auch verschiedene Mutmaßungen, wie schwach die Aktienmärkte kurz darauf eröffnen würden.
Was folgte, dürfte bekannt sein. Gemessen an der grundsätzlichen Tragweite der Eskalation mitsamt möglicher zusätzlicher Gefahren (Eintritt der USA in den Konflikt (der dieses Wochenende tatsächlich erfolgte), Sperrung der „Straße von Hormus“ durch die Iraner, wachsende terroristische Bedrohungen etc.) waren die Kursrückgänge in der Breite sicher so gering, dass sich der eine oder andere Marktbeobachter gewundert hat. Nach einigen Handelstagen war eine mehrfach gehörte Kommentierung „Wie, das war jetzt alles?“ Dies oft in Kombination mit Interpretationen, dass den Markt schlechte Nachrichten „nicht mehr interessieren“, Deutungen, dass der Markt die Risiken verkenne oder der Frage: „Was muss denn noch passieren, dass die Börsen wieder stärker fallen?“ Immer wieder begegneten mir Äußerungen wie Märkte „funktionieren nicht mehr“, seien „irrational“ oder wären durch massiv expansive Geldpolitik „manipuliert“.
Ich kann derartige Interpretationen verstehen, teile aber die Deutung selber nicht. Abgesehen davon, dass sprichwörtlich am Ende abgerechnet wird, es dieses Ende an der Börse jedoch nicht gibt (jedem abgeschlossenen Ereignis folgen neue Einflussfaktoren), finde ich das, was man in den vergangenen Wochen sehen konnte, durchaus rational. Klar, es gab eine militärische Eskalation. Aber diese ist zumindest mit der Möglichkeit verbunden, den wohl größten Förderer von terroristischen Gruppen in dieser unruhigen Region deutlich einzudämmen. Es besteht denke ich keine Diskussion, dass eine Welt ohne das seit fast 50 Jahren regierende Mullah-Regime eine bessere wäre, insbesondere für die Iraner selbst. Diesem Szenario haben wir uns zumindest genähert durch dessen militärische Schwächung. Dazu kommt: Eine ungewisse Situation wurde abgelöst durch eine Situation mit wesentlich mehr Transparenz. Eine Veränderung, die die Märkte üblicherweise goutieren.
Ich finde auch nicht, dass es eine Gewöhnung an schlechte Nachrichten gibt. Was es unstrittig gibt, ist eine Art Lerneffekt bei aufeinanderfolgenden ähnlichen Ereignissen. Lerneffekt besagt in meiner Deutung, dass die Events ja bereits beim ersten Mal durch das Erleben gut ausgeleuchtet wurden und dass Anleger beim zweiten Mal besser abschätzen können, welchen Schaden es wohl gibt und welchen eher nicht. Ein plakatives Beispiel hierfür waren etwa die Lockdowns in der Corona-Zeit, die beim ersten Mal für ungleich größere Sorgen auf dem Börsenparkett gesorgt haben. Und nachdem es nun bereits mehrfache direkte Auseinandersetzungen zwischen Iran und Israel gab, erfolgten gleichermaßen differenziertere Interpretationen. Die beiden vorangegangenen umfangreichen Beschüsse von Israel durch den Iran im April und Oktober 2024 führten zu einem Schaden, der insgesamt weit unter vielen vorherigen Befürchtungen lag. Entsprechend werten auch die Märkte die militärische Angriffsfähigkeit der Iraner anders als etwa vor zwei Jahren. Das ist rational.
Und daran angeknüpft würde ich über dieses aktuelle und noch nicht abgeschlossene Beispiel hinaus behaupten, dass die Märkte weiter durchaus funktionieren und schonungslos objektiv Ereignisse werten. Dies wird immer wieder befremden, weil es Situationen gibt (die Älteren unter uns erinnern sich noch lebhaft an den Börsen-Turnaround zu Beginn 2003, als die Märkte praktisch mit dem Einmarsch der US-Amerikaner in den Irak nach oben drehten), in denen die Börsen eine Situation bereits positiv werten, aber noch einiges menschliches Leid aussteht.
Dabei gilt es, zwei Dinge zu beachten: 1. Börsen handeln nicht die Gegenwart, sondern die Zukunft. 2. Nichts an den Märkten passiert monokausal. Oft sind Reaktionen in übergeordnete Trends „eingebettet“. In einem Jahr wie 2002 wird praktisch alles kritisch bewertet, in einem boomenden Jahr wie 2019 genau umgekehrt. Im Jahr 2003 gab es zwar einen Trendwechsel, aber dieser versteht sich halt auch als Reaktion auf drei Jahre Dauerbaisse zuvor.
Entsprechend möchte ich mit einem Plädoyer für die Rationalität des Marktes abschließen, womit ich natürlich keine Unfehlbarkeit meine. Aber ehe ich in derzeitigen und auch künftigen unruhigen Zeiten anlässlich einer Marktreaktion den Kopf schüttele, erachte ich es für sinnvoller, meine eigenen Annahmen zu überprüfen, sofern sie der Marktreaktion widersprechen. Es ist mehr als eine Phrase, dass „der Markt immer Recht hat“. Er basiert auf umfassender Schwarmintelligenz und korrigiert sich oft genug selbst. Es ist durchaus rational, ihm zu vertrauen.
Von Roger Peeters, 23. Juni 2025, © pfp Advisory
Roger Peeters ist geschäftsführender Gesellschafter der pfp Advisory GmbH. Gemeinsam mit seinem Partner Christoph Frank steuert der seit über 25 Jahren am deutschen Aktienmarkt aktive Experte den DWS Concept Platow (WKN DWSK62), einen 2006 aufgelegten und mehrfach ausgezeichneten Stock-Picking-Fonds, sowie den im August 2021 gestarteten pfp Advisory Aktien Mittelstand Premium (WKN A3CM1J). Weitere Infos unter www.pfp-advisory.de. Peeters ist weiterhin Mitglied des Vorstands der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) e.V. Roger Peeters schreibt regelmäßig für die Börse Frankfurt.
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